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Wenden wir uns zu Rembrandt, so fällt eine Abirrung von ähnlicher Art auf,
wie die seines Ahnherrn, nur mit dem, allerdings wesentlichen, Unterschiede, daß
Lucas in die Manier hineingleitet, während Rembrandt sich aus der Manier befreit.
Die Renaissance wie das Barock waren landfremde, verführerische Mächte. Kein
Volksstamm war so wenig wie der holländische dazu veranlagt, sich die Tendenzen,
Theorien und Formideale des Südens mit Gewinn anzueignen, keiner hat dem
internationalen Geiste, der die Kulturwelt überflutete, so harten Widerstand ent-
gegengesetzt und ist zweitweilig so tragisch unterlegen. In der holländischen Malerei
wirken die treibenden Kräfte der Renaissance und des Barocks mehr zerstörend als
fördernd.
Der Holländer ist nichts weniger als ein Enthusiast für die Form. Sein Sinn für
Wohlgestalt, für Dekoration, für Ornament ist schwach entwickelt. Dekoration
nehme ich als den weiteren, Ornament als den engeren Begriff, da Dekoration
nicht durchaus des Ornamentes bedarf, das Ornament aber, unter allen Umstän-
den dekorativ ist. Das Ornament als das absolut und pur Dekorative sagt aus,
daß dem Bildner das Formenspiel, unabhängig von dem Naturhaften und Mensch-
lichen, genug und alles ist.
Wer die Geschichte des Ornaments durch die Jahrhunderte verfolgt, findet
kaum Veranlassung, bei Holland einzukehren oder sich dort aufzuhalten. Sogar
im Kunstgewerbe, das auf schmückende Erfindung angewiesen ist, erscheint das
Schalten der Holländer mit einer von der gegebenen Sichtbarkeit unabhängigen
Form in geringem Grade produktiv. Die erfolgreiche Keramik im „goldenen Zeit-
alter" lebt im Wesentlichen von Nach- und Umbildung fremder Motive. Und die
Goldschmiede derselben Periode kommen nicht aus ohne den Einsatz vegetabili-
scher und animalischer Formelemente, sie vermeiden geometrisches Zierwerk. Ihr
Stil ist atektonisch.
Der Dekorationssinn der Holländer bleibt dem Naturhaften zugewendet, dem
organisch Zufallshaften. In ihrre Leidenschaft für Blumen haben sie schmuckhafte
Formen und Farben gezüchtet, nicht erfunden, sich mit der Natur beholfen, ihr
nachgeholfen.
Was die kritische Zeit angeht, in der Lucas lebte, vergleichen wir die Bauwerke,
die im Süden der Niederlande errichtet wurden oder in südniederländischen Ge-
mälden aufragen, mit gleichzeitigen holländischen Gebäuden und kommen zu dem
Ergebnis, daß Klarheit, sachliche Schlichtheit der holländischen Gesinnung offen-
bar wird. Ein Bauwerk ist für Lucas weniger ein Kunstgebilde, das durch Pracht
oder Besonderheit den Beschauer fesselt, als eine solide Behausung zu Nutz und
Schutz. Den Vlamen ist der Turm ein willkommenerDekorations wert in land-
schaftlichem Grunde, so besonders für Jan Gossart und Jan Provost. Lucas läßt
Bäume — nicht Türme — in den Himmel ragen. Der Turm ist das am wenigsten
sachliche Glied des Baukörpers.
Mit dem Sinn für das Gewachsene verbindet sich Blindheit für das von Menschen
Hergestellte. Der reife Rembrandt vermeidet architektonische Begrenzung des
durch Licht und Farbe geschaffenen Innenraumes: „Die rationale Logik strenger

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