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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0032
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1 Der Blick aus der Initiale

Die Bildprologe der Bamberger Kommentare

Eine der bemerkenswertesten Anstrengungen des Frühmittelalters, die visiones pro-
pheticae des Alten Testaments ins Medium materieller Bilder zu übertragen, ist uns
in Gestalt der Bamberger Kommentare überliefert. Bei den beiden heute getrennten
Manuskripten Msc. 76! und Msc. 222 der Bamberger Staatsbibliothek handelt es sich
um zwei Teile „einer planmäßigen Gesamtkomposition"3, die ursprünglich wohl in
einem zusammengehörenden Kodex vereint waren.4 Sie enthalten drei alttestament-
liche Bücher, deren Text von Interlinear- und Randglossen begleitet wird: Jesaja,
Daniel und Hohelied (Abb. 3).5 Doch das außergewöhnlichste Element der Bamberger
Kommentare sind zweifellos die doppelseitigen „Bildprologe"6, die jedes der biblischen
Bücher einleiten. Alle drei Bildprologe bieten Darstellungen visionärer Gottesschau,
die sich außerhalb der Standardikonographien der ottonischen Buchproduktion bewe-
gen.7 Ich konzentriere mich zunächst auf die Bilder zu Jesaja und Daniel, bevor ich
auf die Stellung der Miniaturen zum Hohelied in diesem Bildzyklus eingehe.

1.1 Inversion des Äußerungsakts
Die Miniaturen zu Jesaja

Der erste der Bildprologe konfrontiert uns auf zwei gegenüberliegenden Seiten mit der
Berufungsvision aus Jesaja 6: Links wird der „dominus sedens" auf einem goldenen
Thron sichtbar, der das geläufige Motiv von Sphäre und Mandorla variiert, umflogen
von Seraphim in verehrendem Habitus (Taf. II-III). Blitze und fiedrige Wolken, die in
vielerlei Farben aus der Mandorla hervorschießen, verleihen dem Ganzen den Charak-
ter einer plötzlich sich darbietenden, dynamisch pulsierenden Epiphanie - „wie eine
Explosion"8. In ihrer frontalen, streng axialsymmetrischen Anlage ist die Darstellung
suggestiv auf den Betrachter ausgerichtet. Dieser erblickt die Gottesschau wie durch
eine ovale Öffnung, welche in den Purpurgrund der Seite eingelassen ist.

Das Angebot, die Epiphanie des Thronenden in das eigene Hier und Jetzt zu
verlegen, wird auf dem gegenüberliegenden Blatt jedoch systematisch durchkreuzt:
Eine große Doppelsäulenädikula rahmt das erste Wort, mit dem das Buch Jesaja
überschrieben ist: Visio. In der Initiale dieses Wortes spielt sich der zweite Teil der
Berufungsgeschichte ab: Einer der Seraphim - es ist der gleiche, der sich unterhalb des
 
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