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Die Gartenkunst — 10.1908

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Pudor, Heinrich: Der Volkspark von Groß-Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.49258#0019
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X, 1

DIE GARTENKUNST.

9

Der Volkspark von Qroß-Berlin.
Von Dr. Heinrich Plidor.
Man hat berechnet, daß Berlin in 30 Jahren sechs
Millionen Einwohner haben wird. Man hat auf der
anderen Seite gesagt, daß das 20. Jahrhundert das
Jahrhundert der Hygiene sein wird. Wenn man diese
beiden Fakta, die ungeheure Ansammlung von Menschen-
massen auf einem verhältnismäßig engen Raume und
die Forderungen der Gesundheitslehre zusammenhält,
so ergeben sich für den Bauplan von Groß-Berlin ge-
wichtige Forderungen. London hat heute schon sechs
Millionen Ein-
wohner ein-
schließlich der
Vororte, aber
die Wohnun-
gen von Lon-
dons Einwoh-
nerschaft sind
in der Haupt-
sache horizon-
tal angeord-
net, zufolge
des dort be-
stehenden Sy-
stems der Ein-
und Zweifami-
lienhäuser,
während die
Wohnungen in
Berlin wesent-
lich vertikal
geschichtet
sind. Infolge-
dessen bedarf
eine Stadt wie
Berlin in weit
höherem Maße
der grünen Oasen als Unterbrechungen der Straßenzüge,
wie London. In Wirklichkeit weist dagegen London, auch
wenn man nur den eigentlichen Stadtteil in Betracht zieht,
weit mehr grüne Plätze und Gärten auf, als Berlin. Nun
denke man sich erst diese vertikal geschichtete Riesen-
stadt des einstigen Groß-Berlin mit sechs Millionen Ein-
wohnern und man wird gestehen, daß Außerordent-
liches geschehen muß, wenn diese Menschenmassen in
dem unentwirrbaren Netz von Häusern und Miets-
kasernen nicht ersticken sollen. Rousseau hat einmal
gesagt: ,,1’homme est de tous les animaux celui, qui
peut le moins vivre en troupeaux“. Wenn das richtig
ist, —- und die moderne Hygiene ist geneigt, die Wahr-
heit dieses Satzes einzugestehen — dann ist so viel
sicher, daß eine solche Riesenanhäufung von Menschen-
massen, wie sie Groß-Berlin schaffen wird, das sicherste
Mittel ist, die Lebensbedingungen seiner Einwohner zu
vernichten. Dann müssen wir gestehen, daß wir auf
dem besten Wege sind, in unseren Riesenstädten

Massengräber der Menschheit zu schaffen — zum min-
desten dann, wenn wir nicht alles tun, um die ange-
deuteten Schäden der Massenansammlungen zu para-
lysieren, dadurch, daß wir in diesem Häusergewirr für
Ventilation und Zugluft sorgen, daß wir gleichsam mit
gewaltigen Luftdruckmaschinen Ozon in dieses Meer
giftiger Gase strömen lassen. Der Hauch eines Men-
schen wirkt vergiftend auf den anderen Menschen,
sagt derselbe Rousseau, und die Hygiene muß zu-
gestehen, daß die Menschen, wenn sie dicht beiein-
ander wohnen, sich gegenseitig das wichtigste Lebens-
element, die Luft, rauben. Ich sage, es muß also
darauf ankom-
men, nicht nur
die zahllosen
Häuserkom-
plexe hier und
da zu unter-
brechen , das
Häusernetz
möglichst
weitmaschig
zu gestalten,
sondern wir
müssen alles
tun, um in-
mitten dieser
Häuserknäuel
Stätten zu
schaffen, aus
denen urkräf-
tige frische
Luft empor-
steigt, die die
modrige und
abgestorbene
Luft der Häu-
serkarrees ver-
jüngt, gleich-
sam Quellen und Geburtsstätten frischer Luft, Massen-
produktionsstätten von Sauerstoff und Waldozon.
Waldozon! Die Luft ist desto mehr sauerstoff-
und ozonreich, je üppiger das Pflanzenwachstum ist,
denn die Pflanzen produzieren bekanntlich Sauerstoff.
Ein kräftiger Waldwuchs ist daher die beste Sauer-
stoff- und Ozonquelle.
Nun aber wird ja Groß-Berlin in der glücklichen
Lage sein, in dem gewaltigen Komplex des Grune-
waldes eine derartige wünschenswerte Sauerstoffpro-
duktionsstätte'innerhalb seiner Peripherie zu besitzen.
Es kommt daher darauf an, diesen Wald Groß-Berlins
nicht nur unzerstückelt zu erhalten, sondern mehr noch
ihn zu pflegen, damit er dauernd ein möglichst kräf-
tiges Pflanzenwachstum hat und eine möglichst er-
giebige Ozonproduktionsstätte darstellt. Wiederum
kann hier an London als Vorbild erinnert werden, wo
man seit vielen Jahren bemüht ist, Hamptstead Heath
nicht nur zu erhalten, sondern fort und fort zu vergrößern.

Vorwerker Friedhof, Lübeck. Entwurf von E. Barth.
2. Blick vom Haupteingang nach der Kapelle.
 
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