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Die Gartenkunst — 30.1917

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Heicke, C.: Zur dritten Kriegs-Jahreswende!
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https://doi.org/10.11588/diglit.21302#0003

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vor dem Krieg, werden wir wahrnehmen,
daß die neue Richtung gar nicht sehr ver-
schieden ist von derjenigen, die sich bereits
vor dem Kriege unverkennbar ankündigte.
Erinnern wir uns, daß schon im Jahre 1910
größere „Einfachheit in der Gartenkunst"
von Hoemann gefordert wurde und in diesem
Sinne eine „Baum- und Strauchauslese für
den deutschen Garten" bearbeitet worden
ist; denken wir an das Verlangen nach
Betätigung sozialer Gesinnung in Migges
„Gartenkultur des 20. Jahrhunderts", an
die Einstellung der Gartenkunst auf Erfül-
lung volkstümlicher Aufgaben, die Maaß
in seinem „Volkspark der Zukunft" gepre-
digt hat; vergessen wir nicht, wie v. Engel-
hardt bei jeder Gelegenheit mit Entschie-
denheit der Erfüllung der Zweckfrage bei
Gartenschöpfungen das Wort geredet, wie
Encke ihr in seinen neuen Volksgärten zu
formvollendetem Ausdruck verholfen hat!
Dann werden wir finden, daß die Richtung
der Zukunft gar keine „neue" Richtung ist,
sondern daß uns der Erzieher Krieg nur
mit größter Entschiedenheit zwingt, die be-
reits vorher erkannten Notwendigkeiten
folgerichtig zu erfüllen und alle Kräfte zur
Erreichung des einen, klar herausgestellten
Zieles einsetzen.

Wir wollen uns nicht verhehlen, daß
die deutsche Art eines gewissen äußeren
Druckes bedarf, wenn ein wirklicher Fort-
schritt erreicht werden soll. Eigenbrödelei
auf allen Gebieten läßt unter gewöhnlichen
Verhältnissen die Entwickelung nur lang-
sam und schrittweise vorwärtskommen.
Jeder will seine Sonderart betätigen, keiner
läßt ein gutes Haar am Schaffen des an-
deren! Das „Recht der Individualität" und
„Dogmenfreiheit" werden zum Dogma ge-
genüber der „Typisierung". Was auf der
Werkbundtagung unmittelbar vor dem
Krieg zum Ausdruck kam, ist bezeichnend
für das ganze deutsche Kunstschaffen, ja
für deutsches Schaffen überhaupt.

Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten
werden einen heilsamen Einfluß ausüben.
Und der Geist der Kriegszeit wird das
übrige dazu tun, so daß auch da die
Bäume individueller Gartenkunst nicht in
den Himmel wachsen werden, wo etwa
Kriegsgewinne den Gartengrund besonders
gedüngt haben. Wenn nicht alles täuscht,
werden die Jahre nach dem Krieg uns in
eine strenge künstlerische Zucht nehmen.
Sie werden uns zeigen, daß künstlerisches
Wirken nicht eine üppige äußere Lebens-
führung als Voraussetzung nötig hat, daß
für die Schaffung der Grundlagen einer

echten Kunst eine gewisse wirtschaftliche
Knappheit sogar notwendig und nützlich
ist. Denn sie zwingt, alle Wirkungen auf
die einfachsten Grundbegriffe aufzubauen,
diese Grundbegriffe, entkleidet alles über-
flüssigen Bei- und Nebenwerks, zu klären
und in einer ausdrucksvollen Formensprache
zu entwickeln. Die Folge wird sein, daß
unsere Werke von strenger und herber
Sachlichkeit sein werden. Kommt danach,
was wir alle erhoffen, eine Zeit des ge-
hobenen Wohlstandes, dann braucht man
nicht zu fürchten, daß der durch die Schule
der Knappheit gegangenen Kunst die Stetig-
keit und Festigkeit fehle, um ihren Stil zu
behaupten und nicht wieder in haltlose
Entartung zu verfallen.

Ob wir Heutigen diese Aufgabe zu lösen
imstande sein werden? Das Urteil darüber
wird erst eine spätere Nachwelt sprechen;
aber wir dürfen die Zuversicht, daß es ge-
lingen wird, hegen. Wenn das Geschlecht,
welches sich den riesengroßen Anforde-
rungen dieser Zeit gewachsen gezeigt hat,
dazu nicht die Fähigkeit und Kraft auf-
bringt, dann kann man überhaupt nichts
von der Zukunft für die Kunst mehr er-
warten. Seien wir vor allen Dingen nur
ehrlich! Suchen wir unbekümmert um Her-
kommen und Vergangenheit für unsere
Werke den Formenausdruck, der den For-
derungen des Zwecks, den Mitteln und dem
Schönheitsgefühl entspricht. Hüten wir uns
vor der Verlockung, diesen Ausdruck in
Merkmalen, die der Vergangenheit ange-
hören und in Zeiten patriotischer Begeiste-
rung als Zeichen besonders echten Deutsch-
bewußtseins gelten, zu suchen. Die Ge-
sinnung, aus der unsere Werke erstehen,
soll sie wertvoll machen, nicht eine äußer-
liche Verbrämung mit Mitteln völkischer
Prägung.

Wir brauchen nach alledem nicht um
unsere künstlerische Zukunft in Sorge zu
sein. Waren schon vor dem Kriege unver-
kennbar Zeichen eines fortschreitenden Ge-
sundungsvorganges vorhanden, so hat der
Krieg den Boden weiter bereitet, auf dem
der Werdegang eines neuen Aufschwunges
sich vollziehen kann, nicht freilich in be-
flügelter, die Gefahr von Rückschlägen ber-
gender Eile, sondern in zielbewußter Stetig-
keit. Bleiben wir trotz aller Kriegsopfer
arbeitsfreudig und schaffensfroh, dann wird
uns der Anteil an dem Erfolg nicht fehlen,
für unsere Kinder und Kindeskinder das
schöne Deutschland der Kunst aufzubauen
und audi den Andern noch etwas abzu-
geben. Heicke.

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