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Die Gartenkunst — 32.1919

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Heicke, C.: An der Schwelle einer neuen Zeit!, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22269#0005

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An der Schwelle einer neuen Zeit!

Mit atemraubender Hast überstürzen sich die
Ereignisse, und wer nicht als Handelnder in die
Vorgänge unmittelbar verstrickt ist, verfolgt mit
Beklemmung und Sorge ihren Gang, sich ängst-
lich die Frage vorlegend: wird der Wagen diese
rasende Fahrt überstehen, oder an der nächsten
Biegung zerschellt in Trümmern liegen bleiben?
Hoffen wir, daß die Lenker die Zügel in der
Hand behalten oder, sollten sie ihnen entgleiten,
Andere zur Stelle sind, sie wieder aufzunehmen.
Hoffen wir, daß unser Volk, ungeachtet der An-
strengungen der Kriegsjahre, soviel Kraft und
Widerstandsfähigkeit bewahrt hat, diese größte
Krisis, die in seiner tausendjährigen Geschichte
ihresgleichen nicht gehabt hat, zu überwinden,
in den Fieberschauern, die jetzt seinen Körper
schütteln, alle angesammelten Krankheitsstoffe
auszuscheiden und verjüngt zu neuer Größe auf-
zusteigen.

Hoffen wir, daß die Umwälzungen, deren
Zeugen wir sind, das Überlebte und Veraltete
abstoßen und dafür jene Triebe und Kräfte frei-
machen, die nach Eintritt geordneter Zustände
zum Wiederaufbau führen! Betrachten wir, die
von der Zukunft neues Heil für Deutschland er-
hoffen, es als unsere Pflicht, dabei mitzuwirken
und uns auf die Arbeit, die dazu geleistet werden
muß, vorzubereiten. Suchen wir aus der Ver-
gangenheit unsere eigenen Fehler zu erkennen,
und, wenn wir sie erkannt haben, wollen wir
sie auch bekennen; anstatt uns am Suchen nach
dem „Schuldigen“ zu beteiligen; das hat jetzt
ebensowenig Sinn, wie dementgangenenSieg und
Siegesgewinn nachzutrauern, denKopf hängen zu
lassen, untätig die Hände in den Schoß zu legen
und abzuwarten, was werden mag! Es hat nur
Sinn, den Kopf klar zu halten, mit sicherem Blick
die Möglichkeiten der Entwickelung zu erkennen
und zur gegebenen Zeit gerüstet auf dem Plane
zu erscheinen, wenn der Wiederaufbau beginnt.
Wer das versäumt, darf sich nicht beklagen,
wenn er dann von andern, die die Forderung
der Zeit rechtzeitig erkannt haben, in den
Hintergrund gedrängt wird. Auch wir, die sich
seit einem Menschenalter berufen fühlen,
einen wichtigen Zweig des deutschen Kul-
turlebens zu vertreten, dürfen nicht wie-
der in den alten Fehler verfallen, nach-
gehinkt zukommen,wenn es gilt, sich den
Platz an der Sonne zu sichern. Alles deutet
darauf hin, daß große Wendungen sich vorbe-
reiten, die uns unmittelbar berühren.

Wer glaubt, diese, Mahnung sei überflüssig,
oder, bevor eine allgemeine Klärung eingetreten,
bestehe keine Möglichkeit, unsere Interessen

wahrzunehmen, der irrt. Aber nicht nur Be-
rufsgenossen, die im Felde die Fühlung mit dem
Berufsleben verloren haben, meinen, die Garten-
kunst habe jetzt zu schweigen und abzuwarten.
Gewiß, wer glaubt, die Gartenkunst habe keine
andere Aufgabe, wie dem reichen Manne ein
sauberes Rasenparterre vor das Haus zu legen,
mag Recht haben mit solcher Meinung. Aber
unmerklich anfangs, später immer deutlicher
und klarer, ist schon während des Kriegs eine
Wandlung des Begriffs eingetreten, die deutlich
sich in der Bevorzugung des Wortes „Garten-
kultur“ für „Gartenkunst“ ausspricht. Und wer
unserer Tätigkeit während der Kriegsjahre nahe
gestanden hat, weiß, daß die Einstellung auf
Gartenkultur sich in unserer Arbeit folgerichtig
vollzogen hat. Die Anforderungen, die die Zu-
kunft an uns stellen wird, drängen zu immer
klarerer Stellungnahme in dieser Richtung. Je
früher sich jeder Einzelne dem anpaßt und sein
Tun in die neue Richtung umstellt, desto besser
werden wir unsere Aufgabe erfüllen können.

Gartenkunst imSinne von Gartenkul-
tur wird immer mehr eine Sache des gan-
zen Volkes werden, während sie früher eine
solche der Besitzenden war. Die Ausgleichung in
Besitz und Lebenshaltung, der wir zweifellos
entgegengehen, führt auf diesen Weg. Er-
kennen wir unsere Aufgabe hier richtig, dann
muß es uns gelingen, den Gartenhunger, der
überall sich geltend macht, in Gartenliebe
umzuwandeln und aus wirtschaftlicher Not ein
Gartenleben zu erwecken, wie es das deutsche
Volk seit Jahrzehnten nicht mehr kannte. Seinen
Nutzen für den Einzelnen und seine Bedeutung
für den allgemeinen Kulturstand brauchen wir
hier nicht nochmals auseinander zu setzen.

Freilich zwingt uns die Not der kommenden
Zeit zur Einschränkung unserer Bedürfnisse. Der
Bedürfnislosigkeit gerecht zu werden, wird das
wesentliche Bedürfnis der kommenden Jahre sein,
aber Bedürfnislosigkeit ist nicht Formlo-
sigkeit. Und wir haben schon bei früheren Ge-
legenheiten daraufhingewiesen, daß bedürfnis-
lose Zeiten der Kargheit Zeiten der künstleri-
schen Läuterung und der Herausbildung des
Gefühls für eine gute Form gewesen sind. Sie
haben immer die Schlichtheit durch Ge-
schmack und Formgefühl geadelt, wohin-
gegen Zeiten der Reichtumshäufung
leeren Formenkram, übertreibende Ver-
wendung kostbarer Materialien und Ver-
nachlässigung der Form und des Ge-
schmackes im Gefolge hatten.

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Gartenkunst Nr. 1, 1919.

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