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Die Gartenkunst — 42.1929

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Nr. 9
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Seifert, Alwin: Gedanken über bodenständige Gartenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.59006#0139

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GARTEN-GESTALTUNG

Gedanken über bodenständige Gartenkunst
Von Alwin Seifert, Architekt BDA, München.

(Fortsetzung)

Daß der Begriff „bodenständig“ nicht mit seiner land-
läufigen Bedeutung in das Gebiet der Gartenkunst über-
tragen werden kann, ergibt sich auch aus einer Betrach-
tung der Entwicklung unserer Gartenflora.
Da stellt sich die sicher unerwartete Tatsache heraus, daß
unsere Gärten um so weniger einheimische Blumen und
Pflanzen beherbergt haben, je weiter wir in der Ge-
schichte der Gartenpflege zurückgehen. Die ersten Gärten
in unserem Sinne in Deutschland sind die der Klöster
und der kaiserlichen Hofgüter der Karolingerzeit. Gar-
tenpflege gab es bis dahin nur in den Ländern des Mitttel-
meers; das Frankenreich, in das sie gebracht wurde, war
gärtnerisch gesehen ein Kolonialland. So besteht ein un-
mittelbarer Zusammenhang der frühmittelalterlichen deut-
ichen Gärten mit denen der spätrömischen Kolonen, die
ihrerseits ausgehen von den Lehren Columellas.
Ein geschichtlicher Irrtum hat diese Anfänge unseres Garten-
baues erstarren lassen und eine natürliche Entwicklung
auf Grund der heimischen Gegebenheiten sehr verlang-
samt. Karls des Großen Sohn Ludwig der Fromme hatte
795 eine Dienstvorschrift zur Verwaltung seiner Güter
in Aquitanien (Südfrankreich) aufstellen lassen; im 70. Ka-
pitel dieses berühmt gewordenen „capitulare de villis et
cortis imperialibus” sind 73 Blumen, Würz- und Heil-
kräuter und 14 Fruchtbäume namentlich aufgeführt,
deren Anpflanzung den Gutsverwaltern zur Pflicht ge-
macht wurde. Selbstverständlich gehören diese Pflanzen
fast ganz der mediterranen Flora an. Die Verordnung
wurde bald in Deutschland bekannt, aber Karl dem Großen
zugeschrieben. Wie von dem Wirken dieses gewaltigen
Mannes vieles sich im Sagenschatz des Volkes forterhielt,
so wurde die mit seinem Namen verknüpfte Sammlung
jener Pflanzen, die in jedem Garten sein seilten — „Vo-
lumus, quod in horto omnes herbas habeant, id est ...”
mit geradezu mythischer Kraft durch die Jahrhunderte
bewahrt und ist im Volke heute noch lebendig. Als
Gabriel v. Seidl an seinem Haus in Tölz einen Garten
anlegte, der ein rechtes Bauerngarti werden süllte, wurde
mit der Pflanzung eine Frau aus der Gegend betraut,
die darin besonders kundig sein süllte. Sie gab genau
an, was alles in den Garten gehörte, und begründete ihre
Vorschläge mit der Behauptung, die Auswahl slamme
von Karl dem Großen, würde nie anders gemacht und
sei gewiß bewährt. Allerdings entsprach diese Tölzer
Vorschrift nicht mehr ganz der des capitulare, da mancher-
lei Einheimisches beigemengt war; auch Phlox wurde dem
großen Frankenkaiser zugeschrieben!
Auf solche Zusammenhänge ist es zurückzuführen, daß
alle Bauerngärten und Friedhöfe Mitteleuropas eine iiber-
raschend gleichartige Pflanzenauswahl enthalten. Die
„aquitanische Auslese” fremdbürtiger Blumen bildet den
gemeinsamen Grundstock, zu dem sich nach Zahl und
Gegend wechselnde Arten schönblühender Gewächse der

einheimischen Flora gesellen. Diese letzteren fanden spät
und langsam Eingang in unsere Gärten; die Physica der
heiligen Hildegard zählt um die Mitte des zwölften Jahr-
hunderts nur wenige Arten auf; eine größere Zahl findet sich
erst im hortus Eystettensis von 1613, dem berühmten Bilder-
katalog der Gärten des Eichstädter Bischofs Johann Konrad
von Gemmingen. Daneben bringt er bereits 30 Pflanzen
aus der Neuen Weit. Auch die Gärten der Nürnberger Patri-
zier jener Zeit bergen alle Kostbarkeiten fremder Länder, die
ihnen durch ihre Handelsbeziehungen zugänglich wurden.
Mit dem Hinsehwinden des reichsstädtischen Glanzes wurden
aus den Herrschaftsgärtnern Handelsgärtner, und diese ver-
breiteten die fremden Gewächse hinaus ins Land. Welche
Fülle fremder Gartenpflanzen in den letzten beiden Jahr-
hunderten aus aller Welt bei uns zusammengetragen
wurden, ist genugsam bekannt; die Gartenkunst ging
schier zugrunde darüber. Die ganz stattliche Anzahl
heimischer Stauden, die sich in den Gärten unserer Zeit
findet, dürfte erst in den allerletzten Jahrzehnten zu-
sammengekommen sein, als man neben den fernsten
Zonen auch unsere Gebirge, Wälder und Heiden nach
gartenwürdigen Gewächsen durchforschte.
Jedenfalls sleht fest, daß gerade unsere ältesten Garten-
pflanzen, die „Bauernblumen”, nicht bodenständig sind,
und daß alle Zeiten versucht haben, soviel fremde Ge-
wächse in den Garten zu bringen, als ihnen erreichbar
waren. Die Überlieferung des deutsehen Gartens sieht
eben als seine Aufgabe nicht das Einfangen der um-
gebenden Natur, sondern die Beherbergung gerade des
Fremden, Sonderbaren, Farbigen. So gesehen liegt ein
mit bunten Glaskugeln besleckter dörflicher Vorgarten
mehr auf der klassischen Linie der Gartenkunst als etwa
ein ökologisch noch so richtiger Heidegarten, der in
diesem Zusammenhang eine Angelegenheit modischer
Romantik ist.
Ist also mit einer landläufig oberflächlichen Auffassung
von Bodenständigkeit dem Problem nicht beizukommen,
so erschöpft es auch eine sinnvolle Übertragung des Be-
grisfs von der Architektur auf die Gartenkunst nicht.
Das Besondere bodenständiger Baukunst liegt wohl in der
Berücksichtigung von Baustoff und Klima, mehr aber in
der formalen Herausarbeitung völkischer Eigenart. Im
Gebiet der Gartenkunst ist diese letztere zwar in ver-
schiedenen Bauern- und kleinen Bürgergartentypen ge-
geben, bei den großen Aufgaben und in neuzeitlichen
Anlagen kaum je versucht worden. Wir können auf
diese letzten Feinheiten vorläufig gut verzichten und sehen
in der Kunst des bodenständigen Gartens die
Herausarbeitung der kennzeichnenden Besonder-
heit jeder Landschaft unter voller Ausnutzung von
Werkstoff undWerkform jeder Herkunft, also alles dessen,
was Natur und Kunst, Heimat und Fremde, Geschichte
und ungebundenes Neuschöpfen hervorbringen.

Gartenkunst, 42. Jahrgang, Nr. 9, September 1929.

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