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Die Gartenkunst — 42.1929

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Nr. 10
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Valentien, Fritz C.: Ethik in der Gartenkunst
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Der Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands in Essen
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https://doi.org/10.11588/diglit.59006#0172

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wird sich dazu bequemen mussen, nicht nur ästhetisch
sondern vor allem auch ethisch zu empfinden, d. h. ethisch
in zweifacher Beziehung: erstens dem zu verarbeitenden
Material gegenüber und schließlich in bezug auf den Sinn
und Zweck ihrer Schöpfungen.
Jede Kunst hat außer ihrer äußeren Erscheinungsform einen
inneren Bedeutungs- oder Zweckgehalt. Unter dem Einfluß
der stets sich wandelnden Kunstanschauung ist heute die
Zweckbestimmung der angewandten Kunst in den Vorder-
grund gerückt (wie in der freien Kunst nächst den Form-
werten der seelische Gehalt oder künstlerische Inhalt).
Trotzdem diele Neueinstellung, wie in der Kunst selbst,
so auch vom Beschauerstandpunkt aus ganz neue Gesichts-
punkte eröffnet, hat die Kunstgeschichte und Kunstkritik
diese Wandlung noch nicht ganz vollzogen. Wenn man
unter dem Einfluß Woelfflins heute dem Barock eine neue
Würdigung zuteil werden läßt und wenn man sich dem-
zufolge mit erhöhter Aufmerksamkeit auch der Garten-
kunst zugewandt hat, so doch hauptsächlich um ihrer
Formen willen und nicht so sehr wegen der Bedeutung
und der Anwendung jener großen Schöpfungen des Barock.
Indessen glauben wir, daß eine Betrachtung der historischen
wie der modernen Gartenarchitektur von diesem Bedeu-
tungsstandpunkt aus ein Verständnis erleichtern und wach-
rufen kann für die eigensten Dinge der Gartenkunst.
Wir wollen versuchen, die Anlage von Versailles im Lichte
ihrer Bedeutungswerte zu sehen. Es scheint, daß ihr über-
ragender, vor allem auch künstlerischer Wert durch diese
Betrachtungsweise deutlicher wird als je.
Schloß und Park in Versailles sind in erster Linie die Ku-
lissen eines fürstlichen Machtwillens, eines Absolutismus
allerersten Ranges. Die großzügigen Dimensionen tragen
eher den Stempel einer Gewaltherrschaft als den einer
kunstsinnigen Äußerung, und das Leben, das sich in dielen
Räumen und Parks abspielte, hat weniger zu tun mit vor-
nehmer Lebeweise und empfindsamer Lebensauffassung als
mit Eigennützigkeit und Selbstüberhebung. Diese ego-
istische, despotisehe Vergewaltigung der Zweckbestimmung
einer Gartenanlage von so ungeheuren Ausmaßen findet
ein Gegenstück in der Verwendung des Gestaltungs-
materials. Wenn irgendwo die Herrschaft des faustischen
Menschen über die Umwelt zutage tritt, dann in den
Gartenschöpfungen seit der Renaissance. Selbst die groß-
zügige Anlage von Le Nötre kann nicht über den völligen
Mangel an Materialethik hinwegtäuschen. Mit einer grenzen-
losen Fülle ist es hier verschwendet und mit einer Rück-
sichtslosigkeit ohnegleichen sind hier Wuchs und Form der
Pssanze dem Willen des Gestalters gefügig gemacht.
Indessen hat die praktische Verwendung dieser Anlagen
selbst darin Wandel geschaffen; und dieser Wandel wird
einem vielleicht nie und nirgends so deutlich als an einem
Sonntagnachmittag in Versailles. Hier hat einst der Ab-

solutismus seine größte Höhe erreicht, und hier hat sich,
außer in dem heutigen Rußland vielleicht, der Gegenpol
durch die Revolution die größte Auswirkung verschafft.
Wo einst vornehme, gepuderte und bezopfte Kavaliere mit
ihren Damen in Stöckelschuhen, Spitzen und Seide prome-
nierten und tänzelten und wo man, lebens- und wirk-
lichkeitsfremd, sich der geschnörkelten Blumenrabatten,
Rosen und Hecken erfreute, ohne sich der Natur und der
Eigenart des Materials klar zu werden, dort erholt sich
jetzt an den Sonntagen das arbeitende Volk von den An-
strengungen des Alltags. Die einstigen Stätten der Lust des
„Dix-huitieme“ sind heute lebensnotwendige Erholungs-
gärten für die breite Volksmasse. In den weiten Quar-
tieren tummelt sich heute eine nach Tausenden zählende
Volksmenge. Von der großen Schloßtreppe aus sieht man
die gewaltige Hauptachse besät mit Spaziergängern, jede
Flanke ist angefüllt von Menschen, die kaum noch wissen,
wer einst diese gewaltigen Terrains belebte. Die gezierten
Ornamente sind verschwunden und die kleinliche, behut-
same Pssege hat auf gehört; die Besucher spazieren und
lagern auf den sonst so ängstlich behüteten Rasenparterrs,
der große See ist belebt von Ruder- und Paddelbooten.
Man könnte dies für pietätlos und barbarisch halten, wenn
man sich der gezierten und übertriebenen Auffassung des
„Dix-Huitieme“ erinnert. Tatsächlich aber ist das Gegen-
teil der Fall. Den eigentlich künstlerischen Inhalt des Werkes
von Le Nötre spiirt man erst heute infolge der neuen,
der ursprünglichen Bestimmung völlig entgegengesetzten
Art seiner Verwendung durch die Allgemeinheit.
Die Details und Formen des 18. Jahrhunderts sind ver-
loren, das läßt sich nicht leugnen, aber der überragende,
künstlerische Charakter der Anlage kommt erst heute zur
Geltung, nachdem die formale Eigenart der Details hinter
der Verbreiterung und Verallgemeinerung ihrer Zweck-
bestimmung zurückgetreten ist. Es ist ein seiten großes
Erlebnis, zu sehen, wie leicht die großen Linien und ruhigen
Formen die ungeheuren Menschenmassen einfangen, wie
vornehm der Gesamtcharakter der Anlage bleibt, trotzdem
seine Rasenparterrs von einer großen lauten Menge be-
völkert werden. Man möchte meinen, daß erst heute durch
die freie und allgemeine Benutzung der Kunstwert von
Versailles zur Geltung und Auswirkung kommt und daß
auf diese Weise seine früher rein ästhetischen Werte durch
das hinzugekommene ethische Moment hervorragend ge-
steigert worden sind.
Die heutige Gestalt von Versailles ist das Ergebnis künst-
lerischer Großzügigkeit und der allmählichen Entwicklung
durch die Zeit: der große Wurf des Schöpfers, anfangs
eingeengt durch Machtwillen und Despotismus, hat sich
über alle Wandlungen hinaus behauptet. Die Form der
Benutzung hat sich geändert und das Bleibende, der künst-
lerische Gehalt und die Bedeutung sind erst unter den neuen
Verhältnissen ganz deutlich und wirksam geworden.

Der Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands in Essen
6. — 8. September 1929

Wie zahlreiche andere Verbände und Berufsgruppen haben
sich in diesem Jahre auch die Kleingärtner anläßlich der
GRUGA in Elsen ihr Stelldichein gegeben. Der Reichs-
verband der Kleingartenvereine Deutschlands (1. Vorsitzen-
der Rektor H. Förster in Frankfurt a. Main) hatte für

den 6. und 7. September zum II. Internationalen Kongreß
und für den 8. September zum VII. deutsehen Reichsklein-
gärtnertag eingeladen.
Die ganze Veranstaltung gab eindrucksvoll Zeugnis von
der dem Kleingartenwesen innewohnenden lebendigen

ILO 4
 
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