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Geisberg, Max [Hrsg.]
Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts (Band 1) — München, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.28462#0006
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VORWORT

DER deutsche Holzschnitt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, zu dessen Erforschung gerade in den letzten Jahrzehnten durch Gelehrte wie
| Chlemarz, Dodgson, Dörnhöffer, Flechsig, Friedländer, Giehlow, Laschitzer, Pauli und Röttinger so viel geschehen, ist gewiß eines der schönsten
Ruhmesblätter in der Geschichte der deutschen Kunst. Um so mehr ist zu beklagen, daß hinsichtlich seiner Veröffentlichung in mustergültigen,
auf der Höhe unserer Technik stehenden Wiedergaben wenig seither geschehen. Die Reproduktionen des zehnbändigen Mappenwerkes der Reichsdruckerei,
die am meisten befriedigen, werden dieser Aufgabe nur zum Teil gerecht, denn von den anderthalbhundert Bildern, die auf die Blütezeit des deutschen Holz-
schnittes entfallen, ist begreiflicherweise der Löwenanteil Albrecht Dürer Vorbehalten, genau so wie bei den Mappen der Dürer-Society. Selbst Lippmanns
schönes Cranach-Werk bringt nur eine unvollständige Auswahl seiner Schnitte. Des weiteren findet sich wohl noch in den dicken Bänden kostbarer Zeit-
schriften manche treffliche Wiedergabe verstreut und versteckt, und es fehlt auch nicht ganz an Samnielveröffentlichungen, aber sie können teils wegen
allzu starker Verkleinerung der Vorbilder, teils wegen der Benutzung minderwertiger Originale zur Wiedergabe, teils wegen technischer Ausführung billige
Wünsche nicht befriedigen. Hier Wandel zu schaffen, ist die Absicht dieser Veröffentlichung.

Sie gilt dem Einblattholzschnitt Deutschlands. Die Schweiz, die Niederlande und das sonstige Ausland sind nicht berücksichtigt.

In der Geschichte des deutschen Holzschnittes grenzen sich zwei Gruppen scharf gegeneinander ab: Buchillustration und Einblattdruck. Nur der letztere
kommt hier in Frage, denn bei ihm liegt ausschließlich die künstlerische Führung, er ist der unvergleichlich wichtigere Teil der gesamten Holzschnitt-
produktion unbeschadet der Feststellung, daß manche namhafte Meister auch für die Buchillustration gearbeitet haben und daß gerade die Schöpfungen, von
denen der gewaltige Aufschwung kurz vor der Jahrhundertwende ausging, Dürers Apokalypse und Große Passion, auch in Buchform erschienen sind. Wer
Dürers Meisterwerke in guten Nachbildungen besitzt, darf sagen, daß er das Bedeutendste und Tiefste, was der Holzschnitt des 16. Jahrhunderts hervor-
gebracht hat, sein Eigen nennt, aber er übersieht vielleicht, daß einer der volkstümlichsten Holzschnitte, das Haupt voll Blut und Wunden, ein Werk Behams,
daß der reichste Farbenholzschnitt, die schöne Madonna von Regensburg, von Altdorfer herrührt, daß wir die Meisterwerke des Hell-Dunkel-Schnittes
Burgkmair und Cranach, Bai düng und Wechtlin verdanken, daß Beham die ersten getreuen Bilder geschichtlicher Ereignisse, wie die Belagerung Wiens 1529,
geschaffen, daß das bunte Landsknechtleben, die Nöte der Türkenzeit und die unfreiwillige Komik des Bauerntums uns aus seinen und Erhard Schöns Bildern
wieder lebendig werden, daß er und Burgkmair die Zeichner der prachtvollsten Wappenbilder sind, daß Cranach und seine Schüler uns die zuverlässigsten
Bildnisse der Führer in dem Kampfe um die Reformation, sowohl der Theologen wie der Fürsten, hinterlassen haben, daß Schön, Flötner und Pencz die
Illustratoren der Folioerstausgaben der Gedichte eines Hans Sachs sind und daß wir die schönsten kunstgewerblichen Vorbilder von Flötner, Brosamer und
dem Monogrammisten H. S. besitzen. Es heißt eine alte Unterlassungssünde wieder gutmachen, wenn durch eine solche vollständige Veröffentlichung des
erhaltenen Materials nicht nur den künstlerischen und kunstgeschichtlichen, sondern auch den geschichtlichen, literargeschichtlichen und kulturgeschicht-
lichen Werten dieser Bilder zum Rechte verholfen wird.

Das erste Gebot für diese Veröffentlichung ist daher das der Vollständigkeit, soweit sie durch irgendein in dem Schnitte liegendes Interesse geboten erscheint.
Daß nicht jedes der vielen künstlerisch wie gegenständlich bedeutungslosen Erzeugnisse jener Zeit, die etwa auf der gleichen Stufe stehen wie dieNeuruppiner
Bilderbogen unserer Tage, wiedergegeben werden kann, versteht sich von selbst; es wäre nur eine unerfreuliche und zwecklose Belastung des Ganzen. Aber
die vorgesehene Gesamtzahl von rund 1600 Schnitten dürfte wohl am besten zeigen, daß die Veröffentlichung in dieser Hinsicht allen berechtigten Wünschen
entgegenkommen will und daher auch manchem Bilde mit Freude einen Platz anweisen wird, dessen rein künstlerischer Wert vielleicht mehr als fraglich
erscheinen mag, sofern ihm in einer anderen Richtung irgendwelcher Art seine Bedeutung nicht abgesprochen werden kann. Ebenso selbstverständlich ergab
sich die Notwendigkeit, auf die Wiedergabe aller Schnitte, die lediglich mehr oder minder freie Kopien bekannter Originale sind, zu verzichten. Ihre Zahl
ist für unsere heutigen Vorstellungen von den Anforderungen künstlerischer Selbständigkeit erstaunlich hoch und Kopien finden sich damals bemerkens-
werterweise nicht nur unter den Schöpfungen der wirklich Armen im Geiste, sondern auch in den Werken der ganz Großen. Hier durften die Grenzen nicht
allzu eng gezogen werden. Auch mußten alle Kopien, die sich augenscheinlich als getreue Wiedergaben der ihnen zugrunde liegenden, im letzten Exemplare
verloren gegangenen Originale zu erkennen geben, hier als Ersatz in die Lücke treten, und auch sonst empfahl mehrfach eine eigene, künstlerisch nicht wert-
lose oder besonders charakteristische Handschrift ähnliche Nachbildungen zur Aufnahme. Dagegen erübrigt sich eine Wiedergabe der außerordentlich um-
fangreichen Holzschnitt-Veröffentlichungen des Kaisers Max, einerseits, weil ihre künstlerische und gegenständliche Freiheit durch den hohen Auftraggeber
und seinen Gelehrtenstab arg gefesselt erscheint, andererseits weil sie bereits in den ersten Bänden des Jahrbuches der Kunstsammlungen des Österreichischen
Kaiserhauses mustergültig veröffentlicht sind. In seltenen Fällen greift die Veröffentlichung selbst in das Gebiet der Buchillustration hinüber, wenn nämlich
Einblattdrucke dichterischer Erstveröffentlichungen mit Holzschnitten geschmückt sind, die gleichzeitig in Büchern verwendet erscheinen oder wenn Holz-
schnittfolgen zwar ausschließlich als Buchillustrationen gedient haben und der Allgemeinheit fast allein durch solche lieblose, meist späte Drucke auf geringem
Papier bekannt sind, ohne daß aber ein grundsätzlicher Unterschied zwischen ihnen und ähnlichen Einblattfolgen sich ergäbe. So ist zum Beispiel die Wieder-
gabe der höchst seltenen, weit verstreuten Probedrucke der Passionsfolge Cranachs vorgesehen, während andererseits angesichts der zahllosen schon vor-
handenen Nachbildungen die Reproduktion der Dürerschen großen Folgen unterbleiben darf, eine kleine Inkonsequenz, die wohl verzeihlich ist.
 
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