OSKAR KOKOSCHKA/VOM BEWUSSTSEIN DER GESICHTE
Der Bischof Amos Comenius schrieb ein
k Buch: „Orbis pictus“, von welchem ich
P wünschte, daß es auch heute noch allen
Kindern in die Hände gegeben werden
möchte, sobald Zeit ist: da sich die jungen Herzen
den Erziehern entdecken und die aufnehmenden
Wesen der Welt sich öffnen.
Weil diese Anleitung, die hauptsächlich aus
Bildern von der Welt besteht, von den ersten
Eindrücken an, das Bewußtsein zu einer An-
schauung auf den Sinn der Welt hinweist; so
daß der nicht im Buche, wie die Verzweiflung
in toten Armen, erstickt, sondern, wie Liebe,
fortan lebendig in der Brust herumgetragen wird.
Warum ich diesem Manne und seiner Kinder-
fibel zu danken mir vorgenommen habe?
Viel Ehrwürdiges (von Humanisten wie Herder,
Goethe, Humboldt, Jean Paul, allein in Deutsch-
land, schon gesagt) ist sein und seiner Lehrweise
Lob selber indessen geworden und wirkt.
Wenn man sich seines eigenen Lebenslaufes
besinnt, wann die Hoffnung nicht umkehren will
und die Furcht wenigstens stillstehen möchte;
ist unser ganzes Interesse mit einmal in das dieser
menschlichsten Männer hinübergesponnen worden.
Nähern sie sich ja, ungestümer wie wir, der
reinen Anschauung! Sie hatten ein weiteres
Feld vor sich, so daß ihr Ahnungsbegehren ein
heftigeres ward.
Und weil, wann sie am dunklen Mantel zogen,
den Vorhang zu heben, — pocht ihr Herz noch
laut herauf zu uns.
Trete ich mit gleichem Gelübde an, so gaben
(wie Bergmänner, in einem einfallenden Schacht,
die Lampe den oben auf ihren Schultern Stehen-
den hinaufreichen, damit die noch den Ausstieg
versuchten und Mut faßten bei der Flamme), was
ihnen erlosch, die Meister wieder mir — Be-
wußtsein! So daß ich darzustellen imstande bin,
wie sich alles begab; von dem, was ich sah.
Daß sie mich auf den Schlüssel gebracht haben,
mich des Lebenslaufes, als eines Wissen vom
Schicksal, welches selber verhängt ist, zu erinnern,
um die Tür ein wenig wieder zu öffnen, die
jedesmal zufällt, wie einer stirbt; nur dazu reicht
auch meine Erfindung hin und ich habe von mir
nichts hinzuzutun.
Kann man deshalb von den Gesichtern, die
man hier nach meinen Lebensjahren zusammen-
gereiht sieht, sofern man sie nicht anders macht,
etwas erzählen; so nur, daß ich in jedem mir —
ich — wieder es bin.
Da die Kunst, mit unserm Persönlichen zu tuen,
zwar Vorhaben sein darf; aber die Grenzen über-
träte, die sie vom Unwirklichen, wie wir es nicht
erlebten, trennen. — Nach dem, heißt Erfinden:
„Einsehen in die kleinen und großen Gesichte
des Lebens; welche sich wie Träume nicht gerne
zusammengesellen.
Und es ist einer harmonisierenden Handlung
die Herstellung einerinnern Eintracht im Kleinen
zuzuschreiben.“
So prüfe man noch, wie man mit zarten Wurzeln
gleicherzeit sanft auch ins Große der erlebten
Welt eindringt!
★
Der kann kein Erlebnis behaupten, der viele
Zeit an einem Punkte nach seinem Geschmack
verweilt, um sich die Empfindung recht nahe
vorbeikommen zu lassen.
Auch der nicht, der von einem Ende der Welt
bis zum äußersten andern von diesem Urheben-
den alles Lebens, das wie ein Schiffchen beim
Weben durch die ganze Empfindung mit Nähern
und Fliehen sich auf- und abbewegt, hingerissen
wird, ohne dabei die Wege des leicht Verschlüp-
fenden wie ein beharrlicher Gedanke zu ver-
folgen, in denen sich ein Geschick an scheinbar
nebensächlichen Vorfällen achtlos verstrickt.
Wenn ich hier eine Begebenheit, die man mir
erzählte, weil sie dies illustriert, wie von mir
selbst weitergebe, so wage ich, in der Ichform,
einen Fremdling zu verbergen; da ihn niemand
Der Bischof Amos Comenius schrieb ein
k Buch: „Orbis pictus“, von welchem ich
P wünschte, daß es auch heute noch allen
Kindern in die Hände gegeben werden
möchte, sobald Zeit ist: da sich die jungen Herzen
den Erziehern entdecken und die aufnehmenden
Wesen der Welt sich öffnen.
Weil diese Anleitung, die hauptsächlich aus
Bildern von der Welt besteht, von den ersten
Eindrücken an, das Bewußtsein zu einer An-
schauung auf den Sinn der Welt hinweist; so
daß der nicht im Buche, wie die Verzweiflung
in toten Armen, erstickt, sondern, wie Liebe,
fortan lebendig in der Brust herumgetragen wird.
Warum ich diesem Manne und seiner Kinder-
fibel zu danken mir vorgenommen habe?
Viel Ehrwürdiges (von Humanisten wie Herder,
Goethe, Humboldt, Jean Paul, allein in Deutsch-
land, schon gesagt) ist sein und seiner Lehrweise
Lob selber indessen geworden und wirkt.
Wenn man sich seines eigenen Lebenslaufes
besinnt, wann die Hoffnung nicht umkehren will
und die Furcht wenigstens stillstehen möchte;
ist unser ganzes Interesse mit einmal in das dieser
menschlichsten Männer hinübergesponnen worden.
Nähern sie sich ja, ungestümer wie wir, der
reinen Anschauung! Sie hatten ein weiteres
Feld vor sich, so daß ihr Ahnungsbegehren ein
heftigeres ward.
Und weil, wann sie am dunklen Mantel zogen,
den Vorhang zu heben, — pocht ihr Herz noch
laut herauf zu uns.
Trete ich mit gleichem Gelübde an, so gaben
(wie Bergmänner, in einem einfallenden Schacht,
die Lampe den oben auf ihren Schultern Stehen-
den hinaufreichen, damit die noch den Ausstieg
versuchten und Mut faßten bei der Flamme), was
ihnen erlosch, die Meister wieder mir — Be-
wußtsein! So daß ich darzustellen imstande bin,
wie sich alles begab; von dem, was ich sah.
Daß sie mich auf den Schlüssel gebracht haben,
mich des Lebenslaufes, als eines Wissen vom
Schicksal, welches selber verhängt ist, zu erinnern,
um die Tür ein wenig wieder zu öffnen, die
jedesmal zufällt, wie einer stirbt; nur dazu reicht
auch meine Erfindung hin und ich habe von mir
nichts hinzuzutun.
Kann man deshalb von den Gesichtern, die
man hier nach meinen Lebensjahren zusammen-
gereiht sieht, sofern man sie nicht anders macht,
etwas erzählen; so nur, daß ich in jedem mir —
ich — wieder es bin.
Da die Kunst, mit unserm Persönlichen zu tuen,
zwar Vorhaben sein darf; aber die Grenzen über-
träte, die sie vom Unwirklichen, wie wir es nicht
erlebten, trennen. — Nach dem, heißt Erfinden:
„Einsehen in die kleinen und großen Gesichte
des Lebens; welche sich wie Träume nicht gerne
zusammengesellen.
Und es ist einer harmonisierenden Handlung
die Herstellung einerinnern Eintracht im Kleinen
zuzuschreiben.“
So prüfe man noch, wie man mit zarten Wurzeln
gleicherzeit sanft auch ins Große der erlebten
Welt eindringt!
★
Der kann kein Erlebnis behaupten, der viele
Zeit an einem Punkte nach seinem Geschmack
verweilt, um sich die Empfindung recht nahe
vorbeikommen zu lassen.
Auch der nicht, der von einem Ende der Welt
bis zum äußersten andern von diesem Urheben-
den alles Lebens, das wie ein Schiffchen beim
Weben durch die ganze Empfindung mit Nähern
und Fliehen sich auf- und abbewegt, hingerissen
wird, ohne dabei die Wege des leicht Verschlüp-
fenden wie ein beharrlicher Gedanke zu ver-
folgen, in denen sich ein Geschick an scheinbar
nebensächlichen Vorfällen achtlos verstrickt.
Wenn ich hier eine Begebenheit, die man mir
erzählte, weil sie dies illustriert, wie von mir
selbst weitergebe, so wage ich, in der Ichform,
einen Fremdling zu verbergen; da ihn niemand