KURT KARL EBERLEIN/DAS MONDSCHEINBILD VON HANS THOMA
Man wird erst später einmal verstehen,
warum sich in unserer Zeit die Kunst-
welt um ihre Achse so entscheidend
gedreht habe wie damals vor hundert
Jahren auch. Man hat jetzt schon eingesehen,
daß im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
Keime lagen, die heute noch nicht zu Früchten
reifen konnten, daß damals die deutsche Malerei
alle die Grenzen berührt hatte, die sie immer
noch nicht erreicht. Es erwuchs auch damals
das neue Leben einer idealistischen, akademiefeind-
lichen Jugend, die als Mensch und Künstler reif
und rein genug war, eine neudeutsche Kunst zu
schaffen. Es galt, wie heute, die artistische
Könnerei der Kunst zu opfern, es galt neuen
Geist und neue Ziele zu beschwören, es galt
die Kunst dem spielerischen Weltwesen zu ent-
fremden, das schon die Sturm- und Drangjugend
als „Augenhurerei“ bekämpft hatte. Noch ehe
die Romantik zu Rom ihre neudeutsch-religiös-
patriotische Kunst in der Lukasgilde der Naza-
rener geschaffen hatte, bildete sich, abseits in der
kunstreichen Stille Dresdens, jene symbolische
Malerei, die nur allzubald wieder dem Tode
verfiel, weil sie keine Erben fand. Diese Kunst-
symbolik gestaltete zumal in der Landschafts-
malerei den neuen Geist zu jenen seltsamen Ara-
besken und Hieroglyphen, wie sie uns C. D.
Friedrich, P. O. Runge und ihr Gefolge, Carus,
Klinkowström, Matthäi, hinterlassen hatten. Ihr
„geistiges Auge“ sah in eine andere Welt der
Farben und suchte in der Natur die eigene
Seele symbolisch zu deuten. Unverstanden,
verlacht und bekämpft starb diese neue Kunst-
sprache früh vollendet mit den Künstlern dahin,
um dem hereinbrechenden Nazarenertum, dem
Düsseldorfer, dem belgischen, französischen und
holländischen Kunstwesen Platz zu machen. Doch
weiß man, daß alle Palettenkämpfe, alle fremden
Kunstelemente und Probleme nichts gegen die
Bluttreue der deutschen Kunst vermochten, der
das Lied lieber war als das Instrument, der die
Sprache der Seele mehr galt als das Auge der Welt.
Dies Wie — Wo —Warum sei der Kunst-
geschichte überlassen, die auch das Kunstgericht ist!
Es ist für den, der unsere neudeutsche Kunst
mit offenen Augen betrachtet, nicht mehr zweifel-
haft, daß eine neue Jugend über alle „Ismen“
hinweg wieder in jenem alten deutschen Sinne
Kunst will. Wieder ist der Künstler mit seiner
Kunst ein anderer geworden. Wieder ist die
Kunst nur ein Instrument, eine Sprache geworden,
um die Monologe der Seele zu gestalten, um das
Ewige zu deuten. Wieder ründet ein eigen Herz
seine Welt. Es mußten neue Färb- und Form-
zeichen in der neuen Bildfläche, es mußte eine
naturferne Ornamentik zu einer Kunstschrift ge-
schaffen werden, um die neuen Werte um-
schreiben zu können. Wesentlich und groß,
wie die Schrift der Kinder, ist sie nicht „schön“
oder harmonisch, aber aus einer Kraft und Fülle.
Erst das Ganze, Eigene schafft Gebild und Ge-
dicht. Es sind die Bilder der Seele zu Hiero-
glyphen geworden, die kaum noch der Natur,
ganz schon der Kunst gehören, es haben sich
Phantasie und Schau wieder märchenhaft ver-
woben, um Kunst und Religion, Sein und Sinn,
wieder zu einer Einheit zu schließen, wie sie die
Gotik und jene symbolische Romantik Runges
besessen hatte. Ist auch die Ernte noch fern,
schon sind viele im Weinberge der Seele ge-
schäftig. Immer aber bleibt Er, den der Genius
nicht verläßt, der gleiche Allzumenschliche, der
das Unendfiche will und das Endliche darf, immer
wird der Künstler, wie der Gott in ihm will,
zur Kunst. Die Zeit kleidet Ewiges um und ein.
Das Gewand bleibt zurück, wenn er sich selbst
enthebt. Immer ist er Euphorion!
Goethe hatte damals an C. D. Friedrichs Bildern
beanstandet, daß sie um einen Mittelpunkt dreh-
bar und ebensogut auf den Kopf zu stellen seien.
Er hatte mit seinem geschulten Auge den kry-
stallischen Aufbau dieser Kunstwerke wohl erkannt,
aber als wissenschaftlicher „Homeride“ alles Ro-
Man wird erst später einmal verstehen,
warum sich in unserer Zeit die Kunst-
welt um ihre Achse so entscheidend
gedreht habe wie damals vor hundert
Jahren auch. Man hat jetzt schon eingesehen,
daß im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
Keime lagen, die heute noch nicht zu Früchten
reifen konnten, daß damals die deutsche Malerei
alle die Grenzen berührt hatte, die sie immer
noch nicht erreicht. Es erwuchs auch damals
das neue Leben einer idealistischen, akademiefeind-
lichen Jugend, die als Mensch und Künstler reif
und rein genug war, eine neudeutsche Kunst zu
schaffen. Es galt, wie heute, die artistische
Könnerei der Kunst zu opfern, es galt neuen
Geist und neue Ziele zu beschwören, es galt
die Kunst dem spielerischen Weltwesen zu ent-
fremden, das schon die Sturm- und Drangjugend
als „Augenhurerei“ bekämpft hatte. Noch ehe
die Romantik zu Rom ihre neudeutsch-religiös-
patriotische Kunst in der Lukasgilde der Naza-
rener geschaffen hatte, bildete sich, abseits in der
kunstreichen Stille Dresdens, jene symbolische
Malerei, die nur allzubald wieder dem Tode
verfiel, weil sie keine Erben fand. Diese Kunst-
symbolik gestaltete zumal in der Landschafts-
malerei den neuen Geist zu jenen seltsamen Ara-
besken und Hieroglyphen, wie sie uns C. D.
Friedrich, P. O. Runge und ihr Gefolge, Carus,
Klinkowström, Matthäi, hinterlassen hatten. Ihr
„geistiges Auge“ sah in eine andere Welt der
Farben und suchte in der Natur die eigene
Seele symbolisch zu deuten. Unverstanden,
verlacht und bekämpft starb diese neue Kunst-
sprache früh vollendet mit den Künstlern dahin,
um dem hereinbrechenden Nazarenertum, dem
Düsseldorfer, dem belgischen, französischen und
holländischen Kunstwesen Platz zu machen. Doch
weiß man, daß alle Palettenkämpfe, alle fremden
Kunstelemente und Probleme nichts gegen die
Bluttreue der deutschen Kunst vermochten, der
das Lied lieber war als das Instrument, der die
Sprache der Seele mehr galt als das Auge der Welt.
Dies Wie — Wo —Warum sei der Kunst-
geschichte überlassen, die auch das Kunstgericht ist!
Es ist für den, der unsere neudeutsche Kunst
mit offenen Augen betrachtet, nicht mehr zweifel-
haft, daß eine neue Jugend über alle „Ismen“
hinweg wieder in jenem alten deutschen Sinne
Kunst will. Wieder ist der Künstler mit seiner
Kunst ein anderer geworden. Wieder ist die
Kunst nur ein Instrument, eine Sprache geworden,
um die Monologe der Seele zu gestalten, um das
Ewige zu deuten. Wieder ründet ein eigen Herz
seine Welt. Es mußten neue Färb- und Form-
zeichen in der neuen Bildfläche, es mußte eine
naturferne Ornamentik zu einer Kunstschrift ge-
schaffen werden, um die neuen Werte um-
schreiben zu können. Wesentlich und groß,
wie die Schrift der Kinder, ist sie nicht „schön“
oder harmonisch, aber aus einer Kraft und Fülle.
Erst das Ganze, Eigene schafft Gebild und Ge-
dicht. Es sind die Bilder der Seele zu Hiero-
glyphen geworden, die kaum noch der Natur,
ganz schon der Kunst gehören, es haben sich
Phantasie und Schau wieder märchenhaft ver-
woben, um Kunst und Religion, Sein und Sinn,
wieder zu einer Einheit zu schließen, wie sie die
Gotik und jene symbolische Romantik Runges
besessen hatte. Ist auch die Ernte noch fern,
schon sind viele im Weinberge der Seele ge-
schäftig. Immer aber bleibt Er, den der Genius
nicht verläßt, der gleiche Allzumenschliche, der
das Unendfiche will und das Endliche darf, immer
wird der Künstler, wie der Gott in ihm will,
zur Kunst. Die Zeit kleidet Ewiges um und ein.
Das Gewand bleibt zurück, wenn er sich selbst
enthebt. Immer ist er Euphorion!
Goethe hatte damals an C. D. Friedrichs Bildern
beanstandet, daß sie um einen Mittelpunkt dreh-
bar und ebensogut auf den Kopf zu stellen seien.
Er hatte mit seinem geschulten Auge den kry-
stallischen Aufbau dieser Kunstwerke wohl erkannt,
aber als wissenschaftlicher „Homeride“ alles Ro-