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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0019
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wie man früher vielfach naiv und irrthümlich glaubte, geltend gemacht hatte, zu
fehr zu fchmälern geneigt war. Diefer Frage wird ein befonderer Artikel ge-
widmet werden. Die zweite Tendenz theilt Palußre mit vielen Jüngern der fog.
»modernen Kritik«. Sie befteht in einer übereilten Interpretation neuer Acten-
ftücke, über welche ich hier noch ein Wort zu fagen habe. Vorher aber fei es mir
geftattet, mein lebhaftes Bedauern über den vor wenigen Monaten erfolgten uner-
warteten Tod Leon Paluftres auszufprechen. Es fleht nun zu befürchten, dafs
feine grofse Arbeit unvollendet bleiben werde. Ich gedenke mit aufrichtiger Dank-
barkeit der freundfchaftlichen Bereitwilligkeit, mit welcher er mir geftattet hatte,
fo viele von den Abbildungen aus feinem Werke wiederzugeben, als mir erwünfcht
fehlen. Ich habe mich auf 6 befchränkt, Gebäude darftellend, deren Photographien
noch nicht im Handel find.
7) Eine fernere Schwierigkeit, die fich mir darbot, lag in der bereits an-
gedeuteten, in neuerer Zeit zur Mode gewordenen übereilten Interpretation der
Documente, in dem Mifstrauen, welches ich gegenüber der Ueberfluthung mit über-
eilten Schlufsfolgerungen, die von der modernen Kritik aus dem vorhandenen
Actenmaterial oder aus den Documenß inedits gezogen werden, hege. In meiner
Gefchichte von St. Peter in Rom habe ich felbft von letzteren einen hinreichend
kritifchen Gebrauch gemacht, um wohl in diefer Richtung gegen jeden Verdacht
gefichert zu fein. Dasjenige, was auf dem bezeichneten Gebiete am meiften zu
befürchten ift, ift die Auslegung der Documente durch fonft wohlmeinende Forfcher,
denen es aber entweder an der erforderlichen bautechnifchen Ausbildung mangelt
oder denen es an der nöthigen Zeit fehlt, welche auf die Löfung derartiger Fragen
aufgewendet werden mufs. Meine perfönlichen Erfahrungen haben mich gelehrt,
dafs man zur genauen Feftftellung des wahren Sinnes einer Rechnung, eines auf
den Bau bezüglichen Documentes, einer Originalzeichnung etc. oft zehnmal mehr
Zeit braucht, als folche Forfcher zu vermuthen fcheinen oder ihnen zur Verfügung
fleht. So lange man nicht die völlige Gewifsheit hat, fämmtliche auf einen Gegen-
Rand bezügliche Actenflücke vor fich zu haben, können derartige Documente
zu um fo bedauerlicheren Irrthümern führen, als fie faft immer als das Ergebnifs
ficherer Quellenforfchungen ausgegeben oder doch angefehen werden. Häufig wird
•es auch verabfäumt, an Ort und Stelle zu prüfen, ob die Actenflücke mit dem
Beftand und der Analyfe des Denkmals übereinftimmen.
Endlich begeht namentlich die neuere Gefchichtsforfchung nur zu oft den
kaum verzeihlichen Fehler, dafs fie das Fehlen eines Namens oder einer Nachricht
in Acten, deren Unvollftändigkeit feft fleht, fchon als eine negative Thatfache hin-
ftellt, als den Beweis, dafs eine bisher überlieferte Nachricht wiffenfchaftlich wider-
legt fei, alfo einen von der »modernen Kritik« überwundenen Standpunkt bilde.
So fehr ich einerfeits das Auffuchen und Ausnutzen folcher und ähnlicher Quellen
begrüfse, fo fehr mufs ich mich gegen die vorhin angedeutete Benutzung derfelben,
die mit der Würde der Wiffenfchaft nicht im Einklang fleht, verwahren.
Ich befürchte, dafs feit längerer Zeit fchon, und bereits zu Deville s Zeit, nicht
immer die als nöthig betonte Sorgfalt in der Benutzung der Acten befolgt worden
ift, dafs folglich viele Schlüffe voreilig in der Gefchichte der franzöfifchen Denkmäler
aufgenommen worden find, und namentlich dafs vielfach einfache Unternehmer, von
der modernen Kritik entdeckt, uns nun als die eigentlichen Erfinder des Baues
vorgeflellt werden. Es fcheint mir überhaupt beim gegenwärtigen Stande der
 
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