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Schoreel's in der Pfarrkirche von Ober-Vellach, welcher Ort an einer grossen Handelsstrasse des 16. Jahrhunderts
zwischen Ober-Italien und den deutschen Emporien Augsburg und Nürnberg lag. Schoreel kam nach Venedig und
ging von dort — van Mander Tagt: im Alter von ungefähr 25 Jahren — nach Jerusalem,1 von wo er im Jahre 1520
über Rhodus nach Venedig zurückkehrte, um dann „einige Zeit zu reisen, mehrere Städte in Italien zu besuchen
und nach Rom zu kommen, wo er fleissig nach der Antike zeichnete, sowie nach Rajfael und Michelangelo, der
damals eben anfing, berühmt zu werden." Nimmt man das Datum 1520 auf dem Bilde der Ober-Vellacher Pfarr-
kirche als richtig an — und man hat keinen Grund zur Bestreitung — so ergibt sich, dass Schoreel es unmittelbar
vor seinem Vcrlassen des Alpenlandes, zu Anfang des Jahres 1520, gemalt haben muss, da er ja innerhalb desselben
Jahres schon von Jerusalem zurückgekehrt war, was unter den damaligen Verhaltnissen einen erheblichen Zeit-
auswand erforderte. Unter allen Umständen hat Schoreel das Bild gemalt, ehe er die Antike und die italienische
Renaissance kennen lernte; nur die heimatliche niederlandische Schule und die auf seinen Reisen erworbene Kennt
niss deutseher Meister, insbesondere Dürer 's, hatten bis dahin auf ihn eingewirkt.
In dieser Thatsache liegt die grosse kunstgeschichtliche Bedeutung des Ober-Vellacher Bildes, denn vor dem
Auftauchen desselben in Wien war kein vor dem Aufenthalte Schoreel's in Italien gemaltes Bild bekannt gewesen.
In Rom aber hatte er sich der italienischcn Renaissance so vollstandig gefangen gegeben, dass van Mander ihn
mit den Worten preisen zu mussen glaubte: „Und weil er der Erste gewesen sein dürfte, welcher nach Bereisung
Italiens zurückkam, um die Malerkunst zu erleuchten, so ward er von Frans Floris und Anderen der Lichtbringer
und Bahnbrecher („lanteeren-drager en straet-maker") unserer niederlandischen Kunst genannt und als solcher
verehrt". So sehr war schon im 16. Jahrhundert in den Niederlanden die nationale Kunst, die kurz zuvor gar herr-
liche, unvergängliche Blüthen getrieben, gegenüber der aus Italien überkommenen in der allgemeinen Achtung,
auch der Kunstverständigen, zurückgetreten. Jussi hebt mit Recht hervor, dass die Wendung von der nationalen
zur italienischen Kunst sich in den Niederlanden nicht „auf der Scheidelinie einer alten und jungen Generation
vollzog, sondern das Leben reifer, vollkommen fertiger, ja berühmter und gesuchter Meister, wie Mabufe, durch-
schnitt." Eine ähnliche Wandlung war auch in Schoreel vorgegangen, wie das Ober-Vellacher Bild bezeugt; nur
hatte man davon, vor dem so überraschenden Erscheinen des letzteren keine Ahnung gehabt, weil man kein Bild
aus seiner voritalienischen Zeit kannte. Dem Bildersturm, welcher im August 1566 in den niederlandischen Kirchen
so furchtbar gewüthet hatte, dürften auch manche Jugendwerke Schoreel's zum Opfer gefallen sein. Alle seine Bilder
aber, die entstanden sind, nachdem er den Boden Rom's betreten, sind schon von der Kunst Raffael's und Michel-
angelo 's vollstandig beeinssusst. Dies ist um so merkwürdiger, als Schoreel's glänzende Laufbahn in Rom nur von
kurzer Dauer war und er in Italien überhaupt nicht lange verweilte. Papst Hadrian VI., der Erzieher Karl's V.,
der einzige Holländer, welcher jemals den päpstlichen Stuhl bestiegen, hatte seinen künstlerischen Landsmann
wohlwollend ausgenommen und ihn, wie van Mander erzählt, „über das ganze Belvedere gesetzt" (,,stelde kern over
het heel Belvider"); allein dieser Beschützer starb bald, es heisst: an Gift, nachdem er bloss vom Janner 1522 bis
Oclober 1523 den Pontificat innegehabt hatte und Schoreel kehrte bald darauf in seine Heimat zurück. Ein Antrag
des Königs Frans I. von Frankreich, an dessen Hos zu kommen, schlug der Künstler aus und blieb bis zu seinem
Tode, der im December 1562 eintrat, in der niederlandischen Heimat. Durch nahezu vierzig Jahre übte er da seine
Kunst nach den Grundsatzen aus, die er sich durch eine zweijährige Bekanntschaft mit der italienischen Renaissance
eigen gemacht hatte; einige zu seinem Lobe von Lampfonius gedichtete Verse feiern ihn im Sinne der erwähnten
Aussprüche von Floris und van Mander als den „Ersten, der die Niederlander durch sein Beispiel gelehrt hat, dass,
wer ein Maler werden will, Rom besuchen muss."
Heutzutage ist man in dieser Sache anderer Ansicht. Man beginnt sich für die altholländische Malerei, die zu
den Theilen der Kunstgeschichte gehört, über welche bis nun die wenigsten Ausschlüsse erlangt werden konnten,
lebhaster zu interessiren, als jene alten Lobredner der weischen Kunst, denen der Massstab richtiger Werthschätzung
der nationalen abhanden gekommen war. Die Reconstruirung der altholländischen Malerei aus den zerissenen Bruch-
stücken interessirt aber, wie Jussi trefsend hervorhebt, nicht bloss die Holländer, sondern „bei den lebhaften nachbar-
lichen Beziehungen wird auch die Geschichte der so hoch interessanten niederrheinischen Malerei eine Folge
zusammenhangloser räthselhafter Fragmente bleiben, ohne die Orientirung in Holland." Für eine solche Orientirung

1 Wenn der Knabe mit dem alten Gesicht und in Pilgertracht auf dem Vellacher Bilde den Maler selbst darsteilen soll — wie der Autor
des oben angesührten Aussatzes in der „Zeitsclirist sür bildende Kunst" annimmt — so hätte Schoreel schon vor der Abreise nach Venedig die
Absicht gehabt haben mülTen, nach Jerusalem zu pilgern. Dem sleht entgegen, dass Schoreel sich erst in Venedig durch einen Landsmann,
einen Beguinen-Pater aus Gouda, bereden liess, nach dem Orient mitzugehen
 
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