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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 11.1888

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Heft 1
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Bode, Wilhelm: [Die großherzogliche Gemäldegalerie zu Schwerin, 3]: Das Holländische Stilleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.3329#0008
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dürfen wir auch die künstlerische Darsteilung des Menschen, seiner Geschicke und der höchsten Fragen
die ihn bewegen, als das letzte Ziel der Kunst betrachten. Allerdings muss die Darstellung auch den
höchsten künstlerischen Anforderungen entsprechen; und dies ist der Grund, dass uns so zahlreiche
Darstellungen historischer Vorwürfe, selbst von der Hand begabter Maler, kalt lassen oder abstossen,
während ein anspruchsloses Genrebild, eine Landschaft oder ein Stillleben von der Hand derselben
Künstler oder selbst von untergeordneteren Malern einen vollen Genuss zu gewähren im Stande sind.
Bei jedem Stillleben tritt, gerade in Folge des geringen gegenständlichen Interesses, die künstlerische
Auffassung und Behandlung ganz in den Vordergrund: das Geschick in der Anordnung, die Wieder-
gabe des Stosssichen, die malerische Behandlung, Färbung und Ton sind das, was uns an einer Blumen-
guirlande, an einer Schale mit Früchten, an einer Tafel mit Silbergeräthen, einem Frühstückstisch
oder einer Fischschüssel am meisten fesselt. Daneben besitzen diese Bilder aber durch die Anspruchs-
losigkeit der Motive und durch ihre coloristischen Vorzüge eine hervorragende decorative Wirkung,
die sie ebensosehr zum Zimmerschmuck, wie zur Aufstellung in Galerien geeignet machen. Denn in einer
Gruppe verschiedenartiger Gemälde findet das Auge an solchen Motiven einen Ruhepunkt, an dem es
sich erholt und erfrischt, wenn es von der Betrachtung und dem Studium historischer Bilder ermüdet
ist; ein Vortheil, welchen der jetzige Director der Schweriner Galerie erkannt und bei der Aufftellung
der Bilder mit Glück ausgenützt hat. Ein gutes Stillleben gewährt also in dieser Beziehung einen ähn-
lichen Genuss wie ein schöner persischer Teppich oder ähnliche Erzeugnisse des Kunstgewerbes von
hervorragend decorativer Wirkung.
Die wahre Heimat der Stilllebenmalerei sind die Niederlande; die kleine Zahl von Künstlern, die
in Italien und Spanien in der gleichen Richtung thätig waren, sind Nachfolger der niederländischen
Maler und mehr oder weniger abhängig von diesen. In den Niederlanden, sowohl in Holland, wie
in den spanischen Niederlanden, blühte dieser eigenthümliche Zweig der Kunst während des ganzen
siebenzehnten und fast bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Kein anderer Zweig der Malerei
hat hier eine ähnliche Zahl von Künstlern aufzuweisen wie die Stilllebenmalerei. Zahlreiche Jünger
dieser Kunst sind uns jetzt schon dem Namen nach und in ihren Werken bekannt; aber fast auf
jeder Ausstellung alter Gemälde, fast in jeder Versteigerung alter Bilder, namentlich in Holland und
Deutschland, begegnen uns in bezeichneten Stillleben neue Meister, welche uns durch Houbraken und
die rege neue Urkundenforschung bisher nur als leere Begriffe überliefert waren, oder für welche die
letztere noch die Urkunden ausfindig zu machen hat. Und in ähnlicher Weise fördert die allmälig
fortschreitende wissenschaftliche Bearbeitung der vielen kleinen Galerien in Deutschland und zum Theil
auch in Frankreich auf zahlreichen Bildern, welche bisher dem J. de Heem, Claas Heda, Frans Snyders
und anderen bekannten Meistern zugeschrieben waren, die Namen von Künstlern zu Tage, die uns bis-
her in ihrer Thätigkeit oder selbst ihrem Namen nach nicht bekannt waren.
Diese Freude an der künstlerischen Darstellung der unbelebten Natur hat ihren Grund in der tief
im niederländischen Volke wurzelnden Freude an der belebten und unbelebten Natur. Die hollän-
dische Gartenkunst und die Liebhaberei für Blumen sind fast sprichwörtlich; die Raritätensammlungen
und „Kunstkammern" sind von den Niederlanden ausgegangen, wo wir ihnen schon im Anfange des
siebenzehnten Jahrhunderts begegnen; die Freude an Prunkgefässen in Gold und Silber, in Kupfer
und Zinn bezeugen uns die Aufbauten auf den Tafeln der Schützengemälde und auf den Credenzen
in den Prachtgemächern, die uns die Bilder eines B. van Bassen und D. van Delen vorführen.
Die grosse Zahl der Künstler, welche sich der Darstellung des Stilllebens widmeten, ist der Grund
einer grossen Mannigfaltigkeit und einer vielseitigen Entwicklung desselben; insbesondere gerade in
Holland. Hier tritt das Stillleben, unter dem ich im weiteren Sinne auch die Blumenmalerei und die


 
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