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Max Liebermann.



UF DER akademischen Kunst-
Ausstellung zu Berlin im Jahre
1873 war ein Oelbild zu sehen,
das eine Anzahl alter Frauen
und junger Mägde mit dem
Rupfen von Gänsen beschäftigt zeigte. Bei
der Gewöhnlichkeit des Vorwurfs und der
grossen Hässlichkeit dieser Gänserupferinnen, die
in schwärzlich trüben Tönen doch mit gut
beobachteter Lichtwirkung gemalt waren, fand
das Bild nicht blos im grossen Publikum ent-
rüstete Ablehnung: auch solche Beurtheiler,
denen die rücksichtslose Treue der Schilderung,
die Richtigkeit der Bewegungen und die ener-
gische Kraft der Malerei nicht entgangen waren,
beklagten die übelberathene Jury, die solch
schmutziger Armeleutmalerei Eingang gewährte
in die ehrwürdigen Räume einer akademischen
Anstellung. Sie sahen in dem Bilde, mit dem
ein junger Berliner Maler, Max Liebermann,
zum ersten Male vor die Öfsentlichkeit getreten
Studie von Max Lieber mann. war, eine augenbeleidigende Verirrung und
machten ihrem Aerger über ein so «grobes
Ideal von Unschönheit und Stumpfheit» in herb abweisenden Worten Luft. Heute nach beinahe zwei
Jahrzehnten, während deren Liebermann als der Führer der deutsehen Naturalisten in einer langen
Reihe von Werken Zeugniss von dem Ernste seiner Unterwerfung unter die Natur abgelegt hat,
steht es um das Verständniss seiner Arbeiten im Allgemeinen kaum besser als im Jahre 1873. Dieselbe
Gesellschaft, die auf literarischem Gebiete Zola und Ibsen nach ihrem künstlerischen Werthe abzu-
schätzen gelernt hat, die für die ruslischen und nordischen Erzähler (ich erwärmt und dem Talente
Hauptmanns oder Sudermanns aufzumerken beginnt, steht der naturalistischen Malerei Liebermanns
mit Widerwillen gegenüber, um nichts näher als vor zwanzig Jahren. Was aber damals als ver-
messene Kühnheit in Deutschland gelten konnte, unerhört bei einem jungen Manne, der eben erst
 
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