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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 20.1897

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Masner, Karl: Die Ausstellung graphischer Original-Arbeiten der Gegenwart im Jahre 1895
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https://doi.org/10.11588/diglit.4068#0038
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(einen Augen als ein Kernpunkt gelten
musse. Wenn aber einmal durch die Rück-
licht aus den zur Versügung slehenden
Raum der Zwang gegeben ift, statt des
mächtigen vollen Stromes nur einem
kleinen Theil der modernen graphifchen
Original-Arbeiten aus Frankreich Einlass
zu gewähren, mufs die von jedweder Jury
getrossene Auswahl subjesitiv gesärbt er-
scheinen. Eine allgemein giltige und befrie-
digende Wahl würde erfordern, dass man
(Ich mit der gesammten ewig gährenden
und neu gebärenden Kunst Frankreichs
auseinandersetzt und von der Zukunst das
Urtheil über Werth oder Unwerth diefer
oder jener Richtung vorwegzunehmen
vermag. Gleich einem seinen unbestimmten
Nebel dringt in Frankreich das graphifche
Originalschafsen in alle Verzweigungen und
Poren künstlerischer Thätigkeit. Walerei
und graphische Fünfte sind dort nicht so
gesonderte Gebiete wie vielsach noch in
Deutschland, sondern mehr ein allgemeiner
Besitz. Auch die psadweifenden Meifter
des Pinfels versuchen fich gern und ohne
bedächtige Scheu vor Misserfolgen auf der
Kupferplatte und neuerdings mit befon-
derer Vorliebe auf dem Lithographierstein.
Das verwischt zum Theil willkürlich
gezogene Grenzlinien und lässt manchen srischen Blutstropsen in die Grifselkünste eindringen,
so dafs diele rafch und unmittelbar alle Strömungen in den herrschenden Kunftanfchauungen
miterleben. Anderfeits fehlen nicht in Frankreich kräftige Individualitäten, die mit ihrer Thätigkeit
vorwiegend im graphifchen Schafsen wurzeln und auf diefes einen beftimmenden Einflufs üben.
Der breiteren, auch fchon länger gefertigten Bafis, auf der dieler Kunstzweig in Frankreich lieht,
entfpricht die grofse Mannigfaltigkeit der Inftrumentation, die Vielfeitigkeit der Techniken, das
ruhelofe Haften und Suchen, die Ausdrucksmittel zu erweitern. Aber noch in Einem unterfcheidet
fich der Charakter des graphischen Originalfchaffens in Frankreich von dem in Deutfchland. Hier
ift diefes -- mit wenigen Ausnahmen -- weltflüchtig, faft menfehenfeheu und eilt am liebften
hinaus in das Freie, um da ruhige Sammlung und Stimmung zu finden und fich mit den
Erfcheinungsformen der Natur, mit Licht, Luft, Himmel, Erde und Wafser zu befallen, in Frank-
reich ftürzt es fich mit wonnigem Behagen und romanifcher Nervofität in das Gewühl des
Menfchenlebens. Der Mensch als Einzehvefen oder im Verkehre mit andern, in der Heimat und
überall, in all feinem Thun und Treiben, als Individualität oder als Typus ift in erfter Linie der
Gegenftand der franzöfifchen Grisfelkunft. Ihm folgt fie aus Schritt und Tritt mit einem Interefse,


Dans It ruisseau. Nach einer Radirung von L. A, Leycrc.
 
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