Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ÜBER DIE WURZELN DER KUNST ANSELM

FEUERBACHS.

Es ist meines Wissens noch nie versucht worden, die Anregungen, die Anselm Feuerbach
im Laufe seiner Entwicklung aus fremder Kunst empfangen hat, im Zusammenhang darzustellen.
Und doch ist ihre Fülle so groß, daß ihr Gewicht eine schwächere Begabung zu Boden gedrückt,
einen minder scharf ausgeprägten Charakter völlig verwischt hätte; es bedurfte starker Gegen-
gewichte in seiner künstlerischen Persönlichkeit, um ihnen die Wage zu halten.

Wer das Leben Feuerbachs kennt, über das wir durch die Pietät seiner herrlichen Stiefmutter
Henriette und seines treuen Freundes Allgeyer sehr genau unterrichtet sind, der weiß, wie wehrlos,
wie verwundbar und überempfindlich die Seele des Menschen den Eindrücken des äußeren Lebens
offen stand und wie oft er das als tödliche Wunde empfand, was robusteren Naturen kaum als
Mückenstich zum Bewußtsein gekommen wäre. Genau so übermächtig wirkten künstlerische
Sensationen auf sein höchst sensibles Wesen ein, und wir glauben es ihm gerne, wenn wir ihn
erzählen hören, daß er beim ersten Besuch der Offizien in Florenz die Galerie wieder verlassen
mußte, weil ihm die Tränen unaufhaltsam herunterliefen.

Wie aber dem Menschen Feuerbach eine wundervolle Elastizität verliehen war, die ihn das
eben erst als unerträglich Empfundene so völlig abschütteln lassen konnte, als ob es nie existiert
hätte, so bewahrte der Künstler einen Kern in seinem Wesen, der von allen Einflüssen unberührt
blieb, ein geheimnisvolles Etwas, womit er Eindrücke aus fremder Kunst amalgamierte und über-
wand — eben dies, was wir als das spezifisch Feuerbachische empfinden und wovon später noch
zu sprechen sein wird.

Ein moderner Literarhistoriker hat das Wort von der »Bildungspoesie« geprägt und damit
eine Art Literatur bezeichnen wollen, die auf vielerlei älterer Literatur basiert und dort am
stärksten wirkt, wo sie deren Kenntnis voraussetzen darf. In ähnlichem Sinne darf man von einer
»Bildungskunst« bei Feuerbach sprechen. Vergleicht man ihn mit einem Waldmüller, so erscheint
er fast als Eklektiker; freilich als ein Eklektiker nicht wie die Carracci, sondern wie Raffael, der ja
auch eine Unsumme fremden Kunstgutes zu etwas Neuem in sich zu verarbeiten wußte.

Schon in der geistigen Atmosphäre seines Vaterhauses sog der Knabe Feuerbach Bildungs-
elemente in sich ein, die über sein späteres Künstlertum Gewalt gewinnen sollten. Stiche nach
Michelangelo, der für die Formauffassung seiner letzten Jahre maßgebend wurde, hingen an den
Wänden des väterlichen Hauses, und jenes ganz persönliche Verhältnis zum Griechentum hat
sicherlich seinen Keim im Umgang mit dem Vater, der zeit seines Lebens das Land der Griechen
mit der Seele suchte wie die Iphigenie auf dem Bilde seines Sohnes. Sein von einer feinen Schwär-
merei erfülltes Buch über den »Vatikanischen Apollo« lohnt heute noch die Lektüre, wie mußte es
erst auf den Sohn wirken. Mit welchen Empfindungen dieser dann in Rom die »Geschichte der
griechischen Plastik« des verstorbenen Vaters las, wie er seine ganze geistige Existenz als die
 
Annotationen