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Aristokratie der Linie! Oder die kleine Nubierin mit nacktem Oberkörper, die im Schatten wartend
sitzt, oder die Gruppe der Lauschenden; oder die schlanke Wasserträgerin, die die Felsentreppe
im Hintergrund langsam emporsteigt, eine wandelnde Säule: jede dieser Bewegungen hat etwas
wie einen Ewigkeitsgehalt und läßt an jenen auf Goethe bezogenen Satz im »Heinrich von Ofter-
dingen« denken: »Und wo er stand, schien er für Ewigkeit stehen zu wollen«.

Ein weicherer Wohllaut der Linie wurde nie erfunden als der Rücken der Madonna, die
weinend über dem Leichnam ihres Sohnes zusammensinkt; edlere Silhouetten haben sich nie vom
abendlichen Himmel abgehoben als die der drei trauernden Frauen auf demselben Bild. Und noch
die unschuldigen Gesten seiner Kindergestalten sind von dieser immanenten Vornehmheit erfüllt
bis in die letzte Fingerspitze.

Gegen diese Hymne auf die menschliche Gestalt tritt alles andere bei Feuerbach zurück,
ja sogar die Landschaft sinkt zum Attribut, zum Beiwerk herab. #Genau so haben Polygnot und
Apelles, Raffael und Michelangelo empfunden, und eben dies macht ihn zum Antipoden Böcklins,
in dessen besten Bildern die Landschaft das Primäre, die figurale Welt bloß ein Exponent der
landschaftlichen Stimmung ist.

So ist für ihn auch das Gewandproblem wichtiger als für irgendeinen Künstler der neuen
Zeit. Ihm ist das Gewand wieder, was es den antiken Bildhauern war: jenes »tausendfache Echo
der menschlichen Gestalt«. Wie Musik empfindet er das immer neue, kaleidoskopische Spiel der
Falten; und wunderbar schön ist es immer, wie er das plastische Geheimnis des Körpers durch
das Gewand bald voll aussprechen läßt wie in der »Pietä«, bald nur beziehungsreich anklingen läßt.

So hat, von welcher Seite immer gesehen, seine Kunst etwas Zeitloses, etwas, was über ihre
eigene Zeit hinausweist. Er hätte ebensogut im Athen des Perikles oder unter einem der großen
Renaissancepäpste leben und wirken können.

Ja man hätte ihn damals wahrscheinlich rascher verstanden und liebgewonnen als im
Deutschland von 1860 bis 1870; so blutsverwandt ist er der damaligen Kunst und Kultur. Aber
ihm, der nie so recht eigentlich »modern« und »aktuell« war, droht auch nicht die Gefahr, jemals
unmodern zu werden. Unberührt vom Wechsel der künstlerischen Moden leuchtet der einsame
Stern seiner Kunst.

Hermann Ubell.

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