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unveröffentlicht; nur eine ganz geringe Anzahl von Abdrücken ließ Delacroix für sich und einige
Freunde herstellen, daher gute Abzüge der Götz-Folge heute zu den größten Seltenheiten gehören.
Erst nach seinem Tode fand eine Publikation von vier der Blätter statt.

In der Sorgfalt der technischen Ausführung nehmen die sieben Blätter des »Götz« die erste
Stelle unter den graphischen Arbeiten Delacroix' ein. Den Preis verdienen unter ihnen die beiden
letzten Blätter: Adelheid reicht Franz das Gift und Der sterbende Weislingen. Dieser wie hypno-
tisiert auf das weit von sich gestreckte todbringende Fläschchen den starren Blick heftende
Knappe, die dieses willige Geschoß mit Zündstoff ladende Verführerin und die Gruppe des in den
höchsten Delirien der Verzweiflung zu Füßen des in edler, hohcitsvoller Fassung, mit der Würde
eines Königs dem Tod entgegensehenden Weislingen hinstürzenden Franz zählen zu den größten
Erfindungen des Delacroix'schen Griffels. Oder die Gefangennahme Weislingens, jene prachtvoll
lebendige Schilderung zu der Erzählung des Reiters: »Ich und mein Kamerad nisteten uns an ihn,
als wären wir zusammengewachsen, daß er sich nicht regen noch rühren konnte«; ein leiden-
schafterfülltes Chaos von Menschen- und Pferdeleibern, von einem Furor der Bewegung, der
unmittelbar die Erinnerung an Rubens und Lionardo wachruft. Und nach diesem Fortissimo der
Kontrast der vollkommenen Ruhe: Götz seine Memoiren schreibend. Die Melancholie der unfrei-
willigen Muße; »Ach! Schreiben ist geschäftiger Müßiggang«, eine wirklich restlos erschöpfende
Umsetzung sprachlicher Stimmungswerte in bildnerischen Ausdruck. Den Abschluß bildet die Auf-
nahme des verwundeten Götz bei den Zigeunern: »Meine Wunden ermatten mich. Helft mir vom
Pferd«. Man muß bis zu Rembrandts Darstellungen des barmherzigen Samariters zurückgreifen, um
einen ähnlich schlicht vorgetragenen und zugleich so ergreifenden Hymnus auf die menschliche
Caritas anzutreffen.

Die späten Blätter des »Hamlet« und des »Götz« sind die letzten Äußerungen des Graphikers
Delacroix, wenn man von einigen teils lithographierten, teils radierten Tierdarstellungen der
1840er Jahre absieht, von denen die späteste, Löwin einen Araber zerfleischend, von 1849 datiert ist.
Als ihn in diesem Jahr die beiden Monumentalaufträge der Ausmalung des Plafonds in der Apollo-
galerie des Louvre und der Ausschmückung der Chapelle des Saint-Anges in Saint-Sulpice trafen, gab
Delacroix die Schwarz-Weiß-Techniken endgültig auf.

Hans Vollmer.
 
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