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außerordentlich genaue Kenntnis des Volkes, seiner Sitten und Gebräuche zu statten. Wie er
schon einst auf den Wanderungen am Main in manchen Studienblättern die selbst beobachteten
charakteristischen harten Bauernschädel zu umreißen und ein für allemal festzuhalten wußte, wie
er den gleichen Gestalten im heutigen Leben noch täglich begegnet, das spricht sich auch in jener
bäuerlichen Soldateska und ihren Opfern deutlich aus. Wie einst Dürer so nachhaltig unter diesen
wilden Ereignissen stand, von ihrem bedrohlichen Empörertum so gequält und erschüttert wurde,
daß er seiner Vaterstadt in seinen bekannten gewaltigen Apostel- und Evangelistengestalten eine
Art Memento mori, ein warnendes künstlerisches Testament zu hinterlassen sich innerlichst ge-
drungen fühlte, so spricht auch aus allen Blättern der Bauernkriege Schiestls eine unmittelbare
innerliche und aus der Zeit geborene Ergriffenheit. Aber ein unmerklicher, unaufdringlicher Ein-
schlag leisen schalkhaften Humors mildert den Ernst. — Betrachten wir die Zeichnungen, so sehen
wir hier einen weicheren, ja beinahe ausgesprochen malerischen Strich. Es ist ähnlich wie bei
Rembrandt. Unser Künstler paßt sich überall der Technik und dem Material feinfühlig an. Und doch
lassen auch diese mehr malerisch empfundenen Zeichnungen nichts an Knappheit und Klarheit im
Ausdruck vermissen. Auch in ihnen, mehr noch natürlich in den Holzschnitten, baut der Künstler
gleich einem Baumeister sein Mauerwerk der Formen. Fläche fügt sich an Fläche, Stein an Stein.
Derartige Kompositionen, in denen immer auch alle auseinanderstrebenden Einzelheiten zu bindender
Geschlossenheit eingefangen sind, sei es zu Gruppen von Menschen, sei es zu Gruppen von Häusern
und Bäumen und grotesk wirkenden Hopfenstangen, besitzen das Befreiende und Beglückende
einer gut berechneten Architektur. Ungekünstelt und tendenzlos, stetig und zielbewußt, unbeeinflußt
von irgendwelcher Rücksichtnahme auf Effekte und nicht im Künstlerischen liegenden Absichten,
ohne Rücksicht auf den Beifall des Beschauers breiten sich Schiestls graphische Arbeiten vor unseren
Augen aus. Und deshalb sind sie zeitlos. Hermann Nasse.

Rudolf Schiestl, Judenfriedhof. Radierung. (Verlag Julius Schmidt, München.)
 
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