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HEINRICH EHMSENS RADIERUNGEN
ZU GERHART HAUPTMANNS EMANUEL QUINT.

Als erste ihrer Veröffentlichungen gibt die Gerhart-Hauptmann-Stiftung — in Wasservogels
Verlag in Berlin — dreißig Radierungen zum Emanuel Quint von dem in München lebenden nord-
deutschen Maler und Graphiker Heinrich Ehmsen heraus. Die großen schweren Blätter erscheinen ohne
Text, also nicht eigentlich illustrativ, sondern setzen die Kenntnis des Werkes voraus, das vielleicht
mehr als ein anderes des Dichters die Eignung zum Volksbuch in sich trägt. Schon durch diese Ab-
trennung vom Wortlaut der Erzählung wird der Bildteil freier; er deutet jenen aus der Entfernung,
die der Abstand einer Generation verleiht, er behandelt ihn als Rohstoff des eigenen Gestaltungs-
willens — wie einen Natureindruck. Durch diese Distanz entsteht eine Gefühlsspannung zwischen
Wort und Bild; ähnlich wie Delacroix in seinen Faustillustrationen Töne angeschlagen hat, die der
ursprünglichen Absicht des Dichters durchaus fernlagen, aber von Goethe dennoch als eine kon-
geniale und in ihrer Art gleichberechtigte Ausdeutung seiner Dichtung anerkannt wurden, so hat
auch Hauptmann — soviel mir bekannt ist — in Ehmsens Radierungen Dinge gefunden, die er nicht
in sein Werk gelegt hatte, die aber doch in irgendeiner Weise darin gelegen sein müssen. Jeder
empfängliche Leser — und um soviel mehr der bildende Künstler, der den empfangenen Eindruck
aus dem Geist seiner Kunst heraus verarbeitet — macht den Dichter — nach einem anderen Worte
Goethes — mit seinem eigenen Werke bekannt durch das, was er daraus zu machen vermag.

Wie nun jene Blätter Delacroix' den Faust in einer ganz bestimmten Richtung umdeuten -
alles Romantische darin verstärkend und unterstreichend —, so spricht auch aus Ehmsens Kaltnadel-
bläuern nicht nur eine andere Persönlichkeit, sondern auch eine andere Generation. Als wir den Narren
in Christo vor 17 Jahren zum erstenmal lasen, hat die lyrische Grundstimmung überwogen; aber der
gleiche Sachverhalt, der dadurch, daß ihn ein wahrhafter Dichter schuf, nun in wirklicher und selb-
ständiger Lebendigkeit existiert, kann auch mit ätzender Schärfe behandelt werden, mit der leiden-
schaftlicheren Erregung, die das Erlebnis des Krieges in dem nicht allzuleicht vergeßlichen Bruchteil
der Menschheit zurückgelassen hat. Ein Dichter erzählte mir einmal, daß man einem seiner Dramen, das
in einer fremden Sprache aufgeführt worden war, dabei einen anderen Schluß gegeben hätte; erfand dies
natürlich, denn wenn die von ihm erschaffenen Menschen Lebenskraft und Daseinsmöglichkeit
besäßen, so müßte sich ihr Schicksal auch anders entfalten können, als er es ihnen zufällig vorgezeichnet
habe. Auch Ehmsens Emanuel Quint erlebt und empfindet — im Rahmen, den die Dichtung zog -
anderes als der Quint Gerhart Hauptmanns; er lodert, wo dieser glühte, und wo dieser seufzte und
im Leid der Menschheit mitschwang, schreit jener eine ergrimmte Anklage gegen den Himmel.

1 [einrieb. Ehmsen ist ein sinnierender Künstler; in den ältesten Arbeiten, die ich von ihm kenne,
graphischen Blättern, die in den Jahren unmittelbar vor dem Krieg in Paris entstanden sind, hat er
den wilden Dekorationstrieb der französischen »Wilden«generation mit einer Fülle nordischer
Gedanklichkeit und Empfindung verbunden. Chaotisch drängendes Natur- und Menschheitsgefühl
quoll in einer graphischen Lyrik, der ein Nachklang von Jugendstil anhaftete. Diesem ziellosen
Schwärmen hat der Krieg ein Ende bereitet; die aus den Zuckungen des Kriegsendes entstandene
Revolution, die dem in München Lebenden aus nächster Nähe und in ihrer krassesten Form vor
Augen stand, ist ihm zum tiefsten Erlebnis geworden. Er gehört nicht zu den Naturen, denen solche

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