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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Eckhardt, Ferdinand: Berliner Graphiker der Nachkriegszeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0023
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BERLINER GRAPHIKER DER NACHKRIEGSZEIT.

i.

Jede Zeit sieht mit anderen Augen. Ich würde der Kunst,
besonders einer so vielseitigen, zersplitterten Zeit, wie es
die heutige ist, nicht gerecht werden können, wenn ich
nicht versuchte, mit vielen Augen zu sehen. Ich habe mich
in erster Linie als Berichterstatter gefühlt, nur wenn ich
an die Sachen von gar keiner Seite herankommen konnte,
habe ich rein persönlich dazu Stellung genommen.

Heute über die Graphik etwa der letzten zehn Jahre zu schreiben, ist nicht so einfach. Nach
einer Hochflut in der Produktion, die sich seit dem Kriegsende bis zur Inflation immer mehr gesteigert
hat, brach mit den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen ein plötzliches Nachlassen jeder gra-
phischen Tätigkeit an. Ist.es schon nicht leicht, sich durch den Berg des in der Inflationszeit Her-
vorgebrachten durchzuarbeiten, so ist es noch viel schwieriger, einen Überblick über die letzten
Jahre zu bekommen, in denen manche von den besten Künstlern fast überhaupt aufgehört haben,
Graphisches zu arbeiten, und in denen vieles, was geschaffen wurde, noch nie . aus den Ateliers
herausgekommen ist. Dazu hat nun noch im letzten Jahrzehnt so häufig eine Umwertung aller
Werte stattgefunden, daß es fast ausgeschlossen war, sich von den einzelnen Strömungen nicht
mitreißen zu lassen und den Blick für das Ganze zu bewahren. Wir glauben heute sehr viel klarer
zu sehen, als es noch vor wenigen Jahren der Fall war, aber wann haben wir das nicht geglaubt
und wann haben wir uns nicht getäuscht? Glaubten wir nicht, als der Expressionismus aufkam, das
neue Evangelium bekommen zu haben, glaubten wir nicht beim Auftauchen eines George Grosz,
daß nun wirklich die Kunst der Gegenwart gefunden war, und welche Hoffnungen setzten wir nicht
in die neue Sachlichkeit? Und doch haben gerade die am meisten versprechenden Elemente am
stärksten nachgelassen, und auch die Entwicklung ist eigentlich nie in diesen Bahnen gegangen, die
wir im voraus als selbstverständlich anzunehmen geneigt waren. Seitdem die vor allem nach
außen hin stark sichtbare Verwandlungsfähigkeit der Kunst nachgelassen hat, haben wir das Gefühl
einer entsetzlichen Leere, einer Langweiligkeit, was alle Kunst anbetrifft. Seit vier Jahren gibt es
nicht einmal mehr einen neuen Stil! Ist das seit Jahrzehnten schon einmal vorgekommen? Keine
Künstlergruppen mit vielversprechenden Namen sind mehr aus dem Boden geschossen. Unter den
Jungen ist kaum einer, auf den man wirklich ganz große Hoffnungen setzen könnte. Die Jüngsten
bewundern am meisten noch die Alten, sehr begeistert sind sie zwar auch nicht davon, aber es ist
meist noch immer das Beste, was man bewundern kann. Überhaupt hat eine ziemliche Toleranz
von allen Seiten scheinbar auch die gesunden und kräftigen Spitzen abgebrochen, die früher am
ehesten zum Durchbruch verholfen haben. Die Kritik der letzten Jahre hat sich zu einer schleimigen,
nichtssagenden Herumrederei entwickelt. Es wird kaum mehr etwas wirklich angegriffen, meist nur
mit höchst nichtssagenden Worten gelobt. Die Kritiker sind ebenso diplomatisch geworden wie die
Juristen und Staatsbeamten, die alle Augenblicke Angst haben müssen, ihre Stellung zu verlieren,

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