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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Seligmann, A. F.: Johanna Kampmann-Freund
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0104
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JOHANNA KAMPMANN-FREUND.

Linien und Töne (Valeurs) als Elemente eines graphischen Kunstwerkes haben eine zweifache
Funktion: eine darstellerische und eine ästhetische. Die Qualität des Darstellerischen liegt in der
»Naturwahrheit«, — sei dies nun eine wirkliche oder nur scheinbare — die des Ästhetischen in der
Art der rhythmischen Anordnung der Kompositionsteile, in der Gegenüberstellung von Licht- und
Schattenmassen, in dem Zug oder Ductus der Handschrift, kurz, in allem, was der persönlichen
Auffassung und Gestaltungskraft des Künstlers angehört. In allen wirklich bedeutenden Kunstwerken
erscheinen diese beiden Faktoren, das Darstellerische und das Ästhetische, gegeneinander aus-
balanciert, so daß sie einander nicht stören, sondern fördern. In naturalistischen Epochen dominiert
natürlich die Tendenz zur »Naturwahrheit«, in den idealistischen tritt das Streben nach »Stil«
hervor. Man denke an eine Zeichnung von Menzel und an eine von Schwind.

Seit einem Menschenalter leben wir in einer Epoche der Reaktion auf den Naturalismus, der
sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts bis zu einem bis dahin noch nicht gekannten Grade
(Impressionismus!) entwickelt hat, wozu wohl auch die Erfindung der Photographie viel beigetragen
hat. So schwingt nun das Pendel auch nach der anderen Seite weiter aus, als dies jemals der Fall
war. Die naturalistische Komponente spielte in der neueren Kunst eine Zeitlang überhaupt keine
Rolle mehr, wie die Moden des Kubismus, Futurismus, der abstrakten Malerei u. dgl. zeigen.

Vor zwei Jahren hat in Paris das Buch eines modernen Malers namens A. Ozenfant, »Art«, großes
Aufsehen gemacht; kürzlich ist auch eine deutsche Übersetzung, die unnötigerweise »Leben und
Gestaltung« betitelt ist, im Verlag von Müller & Kiepenheuer, Potsdam, erschienen. Dieses Buch
enthält die geistreichsten und zugleich die paradoxesten Gedanken und Bemerkungen. Für die Auf-
fassung der modernen Schule ist es bezeichnend, daß hier Cezanne als derjenige gepriesen wird, der
als erster in seiner Malerei bewußt von der Natur abgewichen und so der eigentliche Begründer der
»gegenstandslosen Malerei« geworden ist. »Die Errungenschaft des 20. Jahrhunderts«, sagt der Ver-
fasser, »ist das von der Realität unabhängige Gemälde«. (Als ob nicht die Kunst des Ornamentes
seit Urzeiten bestanden hätte!)

Diese vollkommene Ausschaltung des Darstellerischen hat, wie ja zu erwarten war, zu einem
wahren Chaos geführt, in dem der Begriff der Qualität schließlich keine Rolle mehr spielte, zu einem
Chaos, das gegenwärtig noch fortdauert und erst in der allerletzten Zeit an einigen Stellen sich zu
lichten beginnt.

Über Sinn und Bedeutung der Xaturnachahmung in der Kunst hat übrigens Grillparzer außer-
ordentlich Einleuchtendes und Treffendes gesagt. In seinen auf die Kunst bezüglichen Notizen heißt
es: »Man hat die Kunst eine Nachahmung der Natur genannt. Warum sollten wir aber etwas nach-
ahmen, was wir schon ohnehin in der Wirklichkeit besitzen?. . . Und wäre die Kunst überhaupt
nichts als das? — Sie ist auch keine Verschönerung der Natur: denn wer könnte die Natur im

SS
 
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