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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 3.1938

DOI Artikel:
Tietze, Hans; Tietze-Conrat, Erika: Tizian-Graphik: Ein Beitrag zur Geschichte von Tizians Erfindungen, [1]
DOI Artikel:
Voigt, Franz: Eine aufgefundene Tizian-Zeichnung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6338#0022
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man sich ganz gut in der Art der Gloria denken, deren gliedernde Strahlenbündel einem
schlechten Holzschneider ähnliche Schwierigkeiten bereitet hätten; was hätte ein Holzschneider,
dem nicht eine malerische Umsetzung möglich ist, wie sie Cort in seinem Stich gelang, aus
dem verschlungenen Kranz der mächtig bewegten Riesenleiber der Gloria gemacht!

Auch anderes ist beiden Kompositionen gemeinsam: die Freude an der plastischen Erschei-
nung athletischer Körper, die Bemühung um scharfe Silhouettenwirkung — besonders auf-
fällig bei den bärtigen Profilköpfen —, die Irrealität des Raumes und das Webende und Wo-
gende der von Wolken und flatternden Tüchern durchwirkten Vision. Hinter der Gesamt-
komposition steht die berühmte Reiterschlacht Lionardos, hinter vielen Einzelheiten überdies
noch Antike, Michelangelo und Raffael, deren Einwirkung für diese Phase von Tizians Schaffen
bestimmend ist. Die Gloria ist wie andere Bilder dieser Zeit voll von solchen Erinnerungen;
in der Bekehrung Pauli geht das gestürzte Roß auf einen wohl bekannten antiken Torso
zurück, die parallel nach rechts stürmenden Jünglinge führen eine michelangeleske Erfindung,
die Tizian schon in seinem Trionfo benützt hatte, im Sinne des raffaelischen Manierismus —
schon durch die Verdoppelung — weiter. Der Jüngling rechts zeigt weitgehende Ähnlichkeit
mit der Plakette Modernos, der Geißelung Christi (Abbildung Planiscig, Die Bronzeplastiken
des Wiener Kunsthistorischen Museums, Nr. 408), wo sich auch das Lionardeske Motiv der
zwischen stehenden Figuren auftauchenden Oberkörper liegender Gestalten findet.1 Der
Jüngling links, den Vertikalität, Unbeteiligtheit und das Motiv des Brechens der Fahnen-
stange ins Allegorische überleiten — eine Neufassung des alten Synagoge-Motivs? —, erinnert
am stärksten an ähnliche Figuren bei Bandinelli.

Wir fassen zusammen. Wenn uns die Erwähnung bei Lampsonius nötigt, eine große Er-
findung dieses Themas bei Tizian zu suchen — quella brava conversione di San Paolo —,
so kann nur der vorliegende Holzschnitt den Anspruch erheben, der verstümmelte Rest jener
großen Erfindung zu sein; zur Zeit, da Tizian der ausnahmsweise Wurf der Gloria gelang,
könnte er auch in dieser Bekehrung Pauli ein religiöses Thema aus tieferen Gründen gespeist
haben, als ihm in seiner durchschnittlichen Produktion religiöser Stoffe zur Verfügung standen.

Mit der Aufzählung bei Lampsonius ist erschöpft, was zeitgenössische literarische Quellen
über die Graphik Tizians zu berichten haben. Hiezu kommt noch die archivalische Beglaubi-
gung eines Holzschnittes von Francesco de Nanto nach einer Porträtzeichnung des Ariost
in der 1532 in Ferrara erschienenen Ausgabe des Ariost; Tizians Schüler Verdizotti schickte
am 27. Februar 1588 einen Abdruck des Holzstocks an Ariosts Sohn mit der Bemerkung,
daß die Zeichnung dazu von Tizian herrühre.2 (Fortsetzung folgt.)

FRANZ VOIGT / EINE AUFGEFUNDENE TIZIAN-ZEICHNUNG

Das Kasseler Kupferstichkabinett besitzt aus altem künstlerischen Nachlaß die umste-
hend abgebildete Zeichnung, die (nach den Zügen der Beischrift) vor 120—150 Jahren als
Skizze des Carlo Maratti erworben wurde. Etwas unscheinbar und tonlos geworden, geht von

1 Daß Tizian die Plakette gekannt habe, könnte auch die Übereinstimmung der laokoontischen Pose des
Auferstehenden in Brescia mit der Figur des gegeißelten Christus bestätigen.

2 Der Brief ist teilweise abgedruckt bei Panizzi, in G. Melzis Bibliografia dei Romanzi, Mailand 1837, p. 117 f.*
und in Baruffaldis Ariosto, p. 251. S. auch Crowe und Cavalcaselle, Tizian (Deutsche Ausgabe), p. 165 ff.

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