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HEINRICH BODMER / DIE ZEICHNUNGEN DES GIACOMO CAVEDONI

Man stößt in Sammlerkreisen immer wieder auf die Meinung, daß es möglich sei, den zeich-
nerischen Stil eines Künstlers ein für alle Mal durch ein gutgewähltes und charakteristisches
Beispiel zu belegen. Auf Grund dieses Paradigmas könnten dann ohne weiteres die anderen
dem Meister gehörigen Blätter zusammengestellt und endlich eine lückenlose Oeuvreliste aus-
gearbeitet werden. Niemand, welcher mit der Problematik und den mit der Handzeichnungs-
analyse verbundenen Schwierigkeiten vertraut ist, vermag diesen Optimismus zu teilen. Nicht
nur haben sich die Künstler in ihrer Zeichnung der verschiedensten Strichverfahren oder
Manieren bedient, auch innerhalb derselben Zeichnungsgattung gibt es soviel Stilarten und
Sonderfälle, daß kein Schema oder Musterbeispiel aufgestellt werden kann, das geeignet wäre,
alle Varianten und Abweichungen von einer supponierten Grundform zu erfassen. Die einzige
Möglichkeit, um über dilettantische und unzureichende Versuche hinaus zu einer wissen-
schaftlichen Zeichnungskritik vorzudringen, besteht darin, daß man aus der Fülle des vor-
liegenden Materiales an zeichnerischen Erzeugungen eines Künstlers und unter Berücksichti-
gung des malerischen Oeuvres die Ausgangspunkte für die Bekonstruktion eines Werkes so
wählt, daß einerseits der Zusammenhang mit dem gemalten Bildwerk gewagt wird, anderer-
seits aber die Möglichkeit besteht, von der gewählten Plattform aus die Erweiterung des Oeuvres
mit logischer Notwendigkeit vorzunehmen.

Ein gutes Beispiel für die Zusammenstellung eines zeichnerischen Oeuvres auf stilkritischer
Grundlage bietet der Bolognese Giacomo Cavedoni. Er gehört zwar keineswegs zu den führen-
den Meistern seiner Zeit. Aber seine Leistung als Zeichner ist immerhin beachtenswert und
lohnt die aufgewendete Mühe. Cavedonis künstlerische Anfänge, die wir von dem Augenblick
seines Eintrittes in die Carracci-Werkstatt verfolgen können, waren vielversprechend. Aber
der Künstler erfüllte nicht die auf ihn gesetzten Hoffnungen. Nach einigen trefflichen Arbeiten,
die ihn auch über Bologna hinaus bekanntmachten, fiel er einer bis heute noch nicht auf-
geklärten, bis zur Apathie gehenden Gleichgültigkeit anheim. Nicht ohne Ergriffenheit er-
fährt man durch den Bericht Malvasias, der Cavedoni noch persönlich gekannt hat, wie der
einst so bewunderte Meister immer mehr herunterkam, sich zur Fristung seines Lebens mit
den bescheidensten Aufträgen begnügen mußte und als alter Mann staunend und ungläubig
vor den Werken stand, die er in einer glücklicheren Zeit geschaffen hatte. Sein Ende wurde
zu einer Tragödie. Arm, elend und von allen Freunden verlassen hat er auf der Schwelle
einer „stalla" sein Leben ausgehaucht.

Zahlreich sind die Werke des Meisters, die, aus den verschiedensten Epochen seines Lebens
stammend, in Kirchen und Privathäusern Bolognas noch heute vorhanden sind. Als beson-
ders charakteristisch für seinen Stil in der besten Zeit seines Schaffens kann eine Gefangen-
nahme Christi (Abb. 1) in der Sammlung Boselli del Turco in Bologna gelten, welche bisher
der Aufmerksamkeit der Forscher entgangen ist. Dieses Gemälde zeichnet sich durch ein
warmes, lebensvolles, in den belichteten Partien zu festlichem Glanz gesteigertes Kolorit aus,
wie man es auch in dem 1614 entstandenen Gemälde des hl. Alö der Pinakothek in Bologna
findet. Die Komposition ist harmonisch gegliedert und verbindet die zahlreichen Figuren
durch den festen Bhythmus eines sich über alle Partien der Darstellung erstreckenden, reich
differenzierten Lebens. Aber das Werk läßt trotzdem jene den besten Arbeiten der bolognesi-
fchen Schule eigene Klarheit und Übersichtlichkeit im Aufbau und in der räumlichen Durch-
bildung vermissen. Der Künstler vertraut der Wirkung des breit und mühelos über die Flächen
gleitenden Pinselstriches und begnügt sich mit den Beizen des koloristischen Aufbaus, ohne

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