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BRUNO BINDER / SPÄTROMANISCHE FEDERZEICHNUNGEN AUS
ST. LAMBRECHT IN OBERSTEIER

Die Universitätsbibliothek von Graz besitzt in ihrer reichen und kostbaren Handschriften-
sammlung,1 die zumeist aus ehemaligem Klosterbesitz stammt, ein Pergament-Evangeliar 2
aus dem Ende des 12. Jahrhunderts. Der Band umfaßt 157 Blatt 3 und ist ziemlich gut er-
halten, nur wurden einige Illustrationen 4 am oberen Rand etwas beschnitten, als die Hand-
schrift im 17. Jahrhundert neu gebunden wurde.5 Wie die Schrift, eine kräftige Minuskel,
bieten auch die Illustrationen Schwierigkeiten für die Bestimmung der Handschrift, die aus
dem vor 1076 gegründeten Benediktinerstift St. Lambrecht in der Obersteieimaik stammt.
Die künstlerische Ausgestaltung des Evangeliars beschränkt sich auf die Kanonestafeln, die
ganzseitigen Bilder der Evangelisten, auf halbseitige BibeldarStellungen und einige Initialen.

Die Kanonesbogen sind wie die Illustrationen in brauner Tinte ausgeführt und dürften
zugleich mit der Schrift entstanden sein. Die Bilder sind auf vier Blättern gezeichnet, die
jedesmal auf der Vorderseite je zwei Darstellungen aus der heiligen Schrift bringen, während
die Rückseiten das Bild je eines der vier Evangelisten zeigen.

Die K anonestafeln. Schlanke, doch kräftige Säulen sind durch Rundbogen ver-
bunden. Die Kapitelle6 tragen korinthisierende Blattformen, die Basen haben die Form
eines ähnlich gebildeten umgekehrten Kapitells. Über und unter den Kapitellen und Basen
liegt eine einfache Platte. Architekturen (Befestigungsanlagen) schließen die Kanonesbogen
gegen den oberen Rand hin ab. Originell ist die Darstellung auf dem letzten Kanonblatt
(Abb. 1). Diesen Kletterer wie die ihm zuwinkende Frauengestalt symbolisch zu deuten, ist
mir nicht gelungen.7

Die Bibelillustrationen. Wie die Darstellungen der Evangelisten sind auch
die Bibelszenen von einem ungefähr 1 cm breiten einfachen Doppebrand 8 umschlossen, der
aber von den Figuren und Gegenständen stellenweise überschnitten wird. Die Reihe der
biblischen Bilder beginnt mit der „G eburt Christi" (Abb. 2, oben).9 Wie eine vornehme
Römerin liegt Maria in gelassener Haltung auf dem Ruhebett, die Rechte nach rechts weisend.
Die Bestandteile dieser Komposition lassen sich nachweisen. Die Haltung der rechten Hand
Mariens, Ochsen- und Eselkopf über dem eingewickelten Christkind und der neben dem
Ruhebett sitzende Josef erinnern an die gleiche Darstellung im berühmten Salzburger Anti-
phonar.10 Auffallend ist die Drehung des Kopfes bei Josef, an der der übrige Körper nicht

Für wertvolle Unterstützung bin ich zu besonderem Dank verpflichtet Univ.-Prof. Hofrat Dr. Ferdinand
Eichler, Archivar Dr. Othmar Wonisch O. S. B. und Oberstaatsbibliothekar Dozent Dr. Anton Kern. Weiteis habe
ich zu danken Universitätsbibliotheks-Direktor Dr. Franz Gösch für die Erlaubnis der Bearbeitung der Hand-
schrift, Landesbibliothekar Dr. Otto Janda für die Herstellung der Photographien und Landesbibliotheksdirektor
Dr. Julius Schütz für die Erlaubnis der Reproduktion.

1 Katalog gegenwärtig durch Bibliothekar Dr. Anton Kern in Vorbereitung. 1. Band erschienen.

2 Manuskript 185. Kern, Die Handschriften der Universitätsbibliothek Graz, Leipzig, S. 93.

3 17,5: 28 cm.

4 Die Kanonestafeln, ferner die Initialen fol. 14, 54 u. 127.

5 Holzdeckel zur Hälfte mit Kalbleder überzogen, mit eingeprägter Jahreszahl 1677.

6 Dieselbe Form der Kapitelle findet sich auch unter den Schreibpulten der Evangelisten.

7 In dem um dieselbe Zeit allerdings in Italien entstandenen Kanon „Avicena's", gegenwärtig in der
Münchner Staatsbibliothek, erscheint ebenfalls eine Jünglingsgestalt, die die Initiale Z entweder trägt oder
den Versuch wagt hinaufzuklettern.

8 Fehlt bei der Darstellung der Taufe Christi, daselbst nur die Spuren der Silberstift-Vorzeichnung.

9 Fol. 13. — 10 Vgl. G. Swarzenski, Die Salzburger Malerei, Abb. 329.

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