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Glasenapp, Helmuth von
Die Literaturen Indiens: von ihren Anfängen bis zur Gegenwart — Stuttgart, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.51388#0027
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DIE SPRACHEN UND SCHRIFTZEICHEN

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tragen. Die uns erhaltenen schriftlichen Dokumente der in-
dischen Literatur stammen alle aus recht später Zeit: Die
ältesten Inschriften, die in Präkrit abgefaßten des Kaisers
Ashoka aus der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr., die ältesten
in Indien gefundenen Manuskripte gar erst aus dem 11. Jahr-
hundert 11. Chr. Daß Handschriften erst aus so später Zeit
auf uns gekommen sind, erklärt sich durch das indische Klima,
das ihrer Konservierung nicht zuträglich war; denn in Tur-
kestan, Nepal und Japan sind indische Manuskripte gefunden
worden, die um viele Jahrhunderte älter sind.
Sicher sind uns durch die indische Witterung und andere
äußere Verhältnisse zahlreiche kostbare literarische Schätze
unwiederbringlich verlorengegangen. Daß wir trotzdemheute
noch im Besitz einer so gewaltigen Literatur, zumal auch aus
alter Zeit, sind, verdanken wir zum Teil der unermüdlichen
Tätigkeit der indischen Schreiber, die immer wieder durch
Kopieren von Texten für die Erhaltung des Überlieferten
sorgten. Ein sehr wesentliches Verdienst an der Konservierung
der alten Literatur trägt aber vor allem der Umstand, daß ein
großer Teil derselben, namentlich die heiligen Schriften der
älteren Zeit, ursprünglich nicht schriftlich, sondern mündlich
überliefert worden sind. Der Veda wurde in Priesterschulen
auswendig gelernt und von Lehrer auf Schüler durch die
Jahrtausende übermittelt. Die durch langjährige Übung aus-
gebildete Gedächtniskraft der indischen Gelehrten, die von
einer glänzend ausgeklügelten Mnemotechnik wirksam unter-
stützt wurde, hat uns die Denkmäler vergangener Epochen in
großer Treue bewahrt. Was für die Überlieferer der vedischen
Offenbarung und der kanonischen Werke der Jainas und
Buddhisten gilt, das trifft, wiewohl in geringerem Maße,
auch auf einen großen Teil der übrigen Literatur zu, waren
doch auch die Schöpfungen der weltlichen Poesie nicht dazu
bestimmt, gelesen, sondern gehört zu werden. Noch heute
werden alte Heldengesänge und anmutige Liebeslieder, kluge
Sentenzen und spannende Erzählungen von Barden durch
Rezitation dem Volke nahegebracht, von Männern, die selbst
weder schreiben noch lesen können, einem Publikum, das
beider Künste ebenfalls nicht kundig ist, waren doch nach dem
 
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