DIE UPANISHADEN
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vorausgesetzt wird. Die Theorie von der „mayä“, von der Welt-
illusion, die das Blendwerk der Vielheit hervorruft, bereitet sich
zwar schon in älteren Upanishaden (Shvetäshvatara 4, 9-10) vor,
hat sich jedoch erst unter dem Einfluß der spätbuddhistischen Philo-
sophie ausgebildet. Der große Anklang, den diese neue Ausdeutung
der Alleinheitslehre fand, hat es wohl veranlaßt, daß die älteste
bedeutende Schrift, welche die Upanishaden im Sinne des Akosmis-
mus auslegt, unter die Upanishaden auf genommen worden ist: die
sich an die Mdndukya-Upanishad anschließenden Lehrstrophen des
Gaudapäda, die dem 8. Jahrhundert n. Chr. anzugehören scheinen.
Wie groß der Einfluß dieses Werkes gewesen ist, läßt sich daraus
ersehen, daß selbst ein so fanatischer Gegner der Alleinheitslehre
wie der dualistische Realist Madhva (13. Jahrhundert), nicht an
ihm vorübergehen zu dürfen glaubte und einige Strophen desselben
in seinem Sinne umdeutete. In begeisterter Sprache sucht der Dich-
ter durch eine Fülle von Gleichnissen darzulegen, daß die viel-
gestaltige Welt nur eine Illusion ist, der eine ewige Geist, wenn er
in seinen wahren seligen Zustand der Ruhe gelangt, keine Vielheit
mehr wahrnehmen kann. So heißt es 4, 47!.:
Dem Auge wird ein Feuerbrand
Zum Funkenkreis, wenn man ihn schwingt,
So auch der Geist, der sich bewegt,
Uns Bilder zur Erscheinung bringt.
Der nicht geschwung’ne Feuerbrand
Läßt keinen Funkenkreis uns sehn,
So läßt ein unbewegter Geist
Auch nichts erscheinen, nichts entstehn.
Das hier aufgeführte Bild findet sich auch im Lankävatdra, einer
heiligen Schrift des Mahayana-Buddhismus. Auch sonst sind die
Anklänge an buddhistische erkenntnistheoretische Lehren und Ter-
mini so stark, daß man mit S. N. Dasgupta annehmen muß, der
Verfasser habe eine Synthese der spätbuddhistischen Anschauungen
mit dem alten Upanishadgedanken beabsichtigt.
Unter die Vedänta-Upanishaden wird auch ein dem großen
Shankara (788-820), dem Schüler von Gaudapädas Schüler Go-
vinda, zugeschriebenes Werkchen gerechnet, die „Diamantnadel“
(Vajrasäcika). In diesem wird dargetan, daß das Wesen eines Brah-
manen im wahren Sinne des Wortes nicht auf seiner Abkunft, seiner
Kastenzugehörigkeit, seiner Gelehrsamkeit usw. beruhe, sondern
daß nur der, der sich als das zweiheitlose Brahma wisse, wahrhaft als
ein Brahmane bezeichnet zu werden verdiene. Das Schriftchen er-
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vorausgesetzt wird. Die Theorie von der „mayä“, von der Welt-
illusion, die das Blendwerk der Vielheit hervorruft, bereitet sich
zwar schon in älteren Upanishaden (Shvetäshvatara 4, 9-10) vor,
hat sich jedoch erst unter dem Einfluß der spätbuddhistischen Philo-
sophie ausgebildet. Der große Anklang, den diese neue Ausdeutung
der Alleinheitslehre fand, hat es wohl veranlaßt, daß die älteste
bedeutende Schrift, welche die Upanishaden im Sinne des Akosmis-
mus auslegt, unter die Upanishaden auf genommen worden ist: die
sich an die Mdndukya-Upanishad anschließenden Lehrstrophen des
Gaudapäda, die dem 8. Jahrhundert n. Chr. anzugehören scheinen.
Wie groß der Einfluß dieses Werkes gewesen ist, läßt sich daraus
ersehen, daß selbst ein so fanatischer Gegner der Alleinheitslehre
wie der dualistische Realist Madhva (13. Jahrhundert), nicht an
ihm vorübergehen zu dürfen glaubte und einige Strophen desselben
in seinem Sinne umdeutete. In begeisterter Sprache sucht der Dich-
ter durch eine Fülle von Gleichnissen darzulegen, daß die viel-
gestaltige Welt nur eine Illusion ist, der eine ewige Geist, wenn er
in seinen wahren seligen Zustand der Ruhe gelangt, keine Vielheit
mehr wahrnehmen kann. So heißt es 4, 47!.:
Dem Auge wird ein Feuerbrand
Zum Funkenkreis, wenn man ihn schwingt,
So auch der Geist, der sich bewegt,
Uns Bilder zur Erscheinung bringt.
Der nicht geschwung’ne Feuerbrand
Läßt keinen Funkenkreis uns sehn,
So läßt ein unbewegter Geist
Auch nichts erscheinen, nichts entstehn.
Das hier aufgeführte Bild findet sich auch im Lankävatdra, einer
heiligen Schrift des Mahayana-Buddhismus. Auch sonst sind die
Anklänge an buddhistische erkenntnistheoretische Lehren und Ter-
mini so stark, daß man mit S. N. Dasgupta annehmen muß, der
Verfasser habe eine Synthese der spätbuddhistischen Anschauungen
mit dem alten Upanishadgedanken beabsichtigt.
Unter die Vedänta-Upanishaden wird auch ein dem großen
Shankara (788-820), dem Schüler von Gaudapädas Schüler Go-
vinda, zugeschriebenes Werkchen gerechnet, die „Diamantnadel“
(Vajrasäcika). In diesem wird dargetan, daß das Wesen eines Brah-
manen im wahren Sinne des Wortes nicht auf seiner Abkunft, seiner
Kastenzugehörigkeit, seiner Gelehrsamkeit usw. beruhe, sondern
daß nur der, der sich als das zweiheitlose Brahma wisse, wahrhaft als
ein Brahmane bezeichnet zu werden verdiene. Das Schriftchen er-