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Glaser, Curt
Die Kunst Ostasiens: der Umkreis ihres Denkens und Gestaltens — Leipzig: Insel-Verl., 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.53085#0185
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heit der Schriftzüge allein, sondern zugleich ihr geistiger
Gehalt macht das Wesen des Schriftwerkes aus, und die
Seele ist der Sinn der Malerei. Die Zeichen der Bambus-
formen sind lernbar. Der Geist der Malerei bleibt unlehr-
bar. „Mein Freund Li K’an,“ sagt ein Kunstschriftsteller
des 14. Jahrhunderts, „stellte tiefe Untersuchungen an,
um das Bild dieses Edelmannes“ —- gemeint ist der Bam-
bus — „zu malen, denn er wollte zu dem Inneren des
Gegenstandes vordringen.“1
Dieses Innere des Gegenstandes bleibt das Unlehrbare,
wie Su Tung-p’o es ausspricht, der ein hartes Wort gegen
das Kopieren im allgemeinen hat. „Malerei ist nicht lehr-
bar, denn sie ist begründet auf einem inneren Zusammen-
hang von Auge und Hand, der unbewußt entsteht; und
wie sollte man das Unbewußte mitteilen können?“2
Der undefinierbare Begriff der künstlerischen Qualität
taucht auf. Liä Dsi sagt: „Das beinahe Vollkommene ist
dem Vollkommenen ähnlich; aber es ist von Anfang an
unvollkommen.“3 Der oberste Wertungsgrundsatz für jede
Kunst ist in diesem Worte ausgesprochen. Für die ost-
asiatische Kunst, deren Instrument das feinste ist, gilt er
mehr noch als für irgendeine sonst.
Darum reden die Kenner so viel von Pinselführung und
Ton der Tusche. Die feinsten Unterschiede trennen das
Meisterwerk von der Arbeit des Schülers. Nicht die groben
Linien der Form machen die Bedeutung des Bildes, sondern
der tiefere Sinn, der in ihnen verborgen ist und dem
Sehenden nur spricht.

13p

1 Giles S. 139. — 2 Giles S. 105. — 3 Liädsi S. 73.
 
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