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des Wiener Schottenstiftes, die an dem Anfang seiner heut noch er-
kennbaren Tätigkeit steht. In der Anlage ist das alte und oft wieder-
holte Schema beibehalten, die drei Kreuze in symmetrischer Ordnung
und unter ihnen die Gruppe um die ohnmächtig zusammensinkende
Maria auf der einen, die Reiter auf der anderen Seite. Aber eine leben-
dige Bewegung durchzuckt die kleine Tafel, stark und unmittelbar ist
jedes Motiv empfunden, der Ausdruck ist beseelt und verinnerlicht, die
Menschen von eigenem Wuchs und ungewohnt fremdartiger Bildung.
Weit zurück bleibt die feierliche Repräsentation des Schmerzes, wie sie
noch Wolgemut in kluger Ausdeutung des alten Darstellungsschemas
zu geben gewohnt war. Da war jede Gebärde gemessen, jede Ausdrucks-
bewegung geglättet, und noch die Hauptleute der Pharisäer trugen edel-
gebildete Züge. Hier treten an ihre Stelle wüste Gesellen in fremdlän-
disch ungewohnten Trachten, die Schächer an den Kreuzen sind rechte
Bösewichter, deren Gemeinheit aus den Formen des ungeschlachten
Körpers wie den rohen Gesichtszügen spricht.

Mit all dem entfernt sich Cranach auch weit schon von einem Werke
wie dem Münchener Franziskaneraltar. Und doch, wenn er irgendwo
den Mut zu solcher neuen Drastik zu finden vermochte, so war es in
Bayern, war es vor den Tafeln des alten Mäleßkircher oder dem Kreuzi-
gungsbilde des Jan Polak mit seiner Überfülle wilder, verwegener und
verzerrter Bewegungen, die nach allen Seiten die Fesseln der Bildform
zu sprengen drohen. Aber wenn Polak einen Raum noch in altertüm-
licher Weise bis oben hin füllt, wenn die Bewegungen bei aller Kühn-
heit noch stockend und krampfhaft erscheinen, weil sie überall scharf
durchgezeichnet werden, so waltet in Cranachs Werk eine neue Öko-
nomie. Er kommt mit weniger Figuren aus und gewinnt doch den An-
schein stärkerer Fülle. Er zieht die Kreuze in die Höhe und legt den
Horizont niedriger, und er erzielt damit den überzeugenderen Ein-
druck einer zusammenhängenden Räumlichkeit. Die Landschaft ist
nicht mehr nur Hintergrundfüllung, sie beginnt zu einem Element
der Gesamtstimmung zu werden. Cranach streicht die Bewegungen

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