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deutschen Fachwerkbauten in einer allgemeinen Art auf die Cranach-
sche Formgebung hinweisen, so ist es darum, weil diese besser den neuen
Bedürfnissen entgegenkam als etwa die Vorbilder Dürers, die doch nun
bereits Jahrzehnte zurücklagen und nicht mehr dem Geschmack der Zeit
entsprachen. Es ist ein Zeichen für Cranachs starkes und ausgesprochenes
Gefühl der Selbständigkeit, daß er, obwohl er Tizians reife Kunst aus
eigener Anschauung kannte, doch nicht um Zollbreite von seinen alten
Bildgewohnheiten abging. Gewiß war er damals ein Greis, und es wäre
ihm wohl schwer gefallen, noch einmal umzulernen. Aber er dachte
auch nicht mehr daran. Die italienische Kunst, die als Erbin der
Antike einmal den Ruf einer internationalen Macht, eines Weltstiles,
besessen hatte, galt nun doch wieder als eine Kunst von nationaler
Gebundenheit, der man nicht ohne weiteres und ohne Besinnen den
Vorrang der Überlegenheit zubilligte. In den Niederlanden war man
ebensowenig dazu geneigt wie in Deutschland. Überall bereitete sich
die neue nationale Blütezeit des 17. Jahrhunderts vor, die in Deutsch-
land allerdings durch die Zeitverhältnisse an der Entfaltung gehindert
wurde.

In diesem Zusammenhang ist der Stil der Cranachschen Kunst in den
dreißiger und vierziger Jahren zu verstehen und zu würdigen. Er be-
deutet die Einleitung und Begründung eines deutschen Manierismus. So
trifft ihn jeder Vorwurf, der eine manieristische Kunst überhaupt treffen
kann. Aber wie eine positive Wertung des Schaffens der eigentlichen
Manieristen, die, vor allem in den Niederlanden, zeitlich auf Cranach
folgten, eine Forderung der historischen Gerechtigkeit ist, so bedarf
auch die allgemeine Stellungnahme gegenüber dem Spätstil des Lukas
Cranach einer durchgreifenden Revision.

Die Grabschrift Cranachs feiert den Meister als pictor celerrimus,
als den „schnellsten Maler". Und dieses Prädikat, das seinen Zeit-
genossen als das bezeichnendste erschien, darf auch in der Charakteristik
seiner Kunst nicht übergangen werden. Dürer war gewiß alles andere
als ein „schneller Maler", wenn er sich auch einmal rühmte, ein Bild in

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