da er zu leichter Erfindung begabt war, und er ging verschwenderisch um mit
seinen Bildgedanken, da sie in Fülle ihm zuströmten.
Von Altdorfers Märchenzauber ist Holbeins taghell klare Gestaltenwelt
ebenso weit entfernt, wie von Grünewalds Gefühlsüberschwang. Seine Men-
schen leben in der gleichmäßig kühlen Atmosphäre eines gesicherten Daseins.
Es sind die überpersönlichen Geschöpfe einer idealen Welt, die nur den Schein
der Körperlichkeit mit den Irdischen teilen. Man fühlt es, daß keine Modell-
studien diesen Bildungen zugrunde lagen, und man weiß es, wie Holbein die
Ähnlichkeit tilgte, wenn er eine Bildniszeichnung zu einem Madonnentypus
umbildete, wie es einmal geschah, als er die Porträtskizze seiner Gattin (15)
in dem Kirchenbilde von Solothurn verarbeitete. Aber die Schönheit, die er
wollte, war auch nicht nach kalter Regel gebildet. Sie erwuchs ihm aus einer
warmen Sinnlichkeit. Er erlag nicht dem verführerischen Ideal lionardesker
Anmut, dem er in Mailand begegnete, er fand auf eigenem Wege seinen Typus,
dessen Schönheit ebensosehr Milde wie Festigkeit bedeutete.
Wie Holbeins Heiligengestalten weit sich entfernen von der Gespanntheit
spätgotischer Individualisierung, so ist das Kleid, das sie tragen, unterschieden
von dem spitzwinklig hartkantigen Gefälte der alten Zeit, ist ein reiches Gebilde
weich in Schattentälern und Lichtflächen sich gliedernder dichter Stoffmassen,
in deren freier Lagerung das Körpermotiv deutlich sich abhebt. Wieder ist es
charakteristisch, daß nicht ein selbständig gewordenes krauses Lineament die
Höhen und Tiefen der Falten umkriecht, daß die Linie als solche verschwindet,
weil sie der Form dient, die malerisch in Flächen von hell und dunkel sich
modelliert. Man begreift nicht die Schönheit dieser Zeichnungen, wenn man
dem einzelnen Strich zu folgen versucht, sondern erst dann, wenn man dem
anmutvollen Rhythmus sich hingebend, die freie Lagerung der Glieder nach-
erlebt, wenn man das wohlige Dasein der Menschen im Raume mitempfindend
genießt.
In diesem allgemeinsten Gefühlsgehalt vollendet sich der eigentliche Sinn
der Darstellungen. Es handelt sich nicht um das spezifische Erlebnis des Mutter-
glücks in den Madonnenzeichnungen, nicht um trauliches Familienleben in
dem großen Blatte der Anna Selbdritt (16). Ein heiliger Adrian (18), der wie
der Zwillingsbruder des heiligen Georg erscheint, den Holbein im Jahre 1522
auf einen Altarflügel malte, ist in dem gelösten Stehen, dem freien Halten von
Ambos und Schwert nichts als der Typus edler und selbstgewisser Männlich-
keit. Man fragt nicht nach dem Motiv einer nackten Frau, deren Körper in
kreisender Bewegung erscheint (Titelbild), weil die Steine, die sie in den Hän-
den trägt, genugsam erklärt sind in der belasteten Schwingung der Arme, dem
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seinen Bildgedanken, da sie in Fülle ihm zuströmten.
Von Altdorfers Märchenzauber ist Holbeins taghell klare Gestaltenwelt
ebenso weit entfernt, wie von Grünewalds Gefühlsüberschwang. Seine Men-
schen leben in der gleichmäßig kühlen Atmosphäre eines gesicherten Daseins.
Es sind die überpersönlichen Geschöpfe einer idealen Welt, die nur den Schein
der Körperlichkeit mit den Irdischen teilen. Man fühlt es, daß keine Modell-
studien diesen Bildungen zugrunde lagen, und man weiß es, wie Holbein die
Ähnlichkeit tilgte, wenn er eine Bildniszeichnung zu einem Madonnentypus
umbildete, wie es einmal geschah, als er die Porträtskizze seiner Gattin (15)
in dem Kirchenbilde von Solothurn verarbeitete. Aber die Schönheit, die er
wollte, war auch nicht nach kalter Regel gebildet. Sie erwuchs ihm aus einer
warmen Sinnlichkeit. Er erlag nicht dem verführerischen Ideal lionardesker
Anmut, dem er in Mailand begegnete, er fand auf eigenem Wege seinen Typus,
dessen Schönheit ebensosehr Milde wie Festigkeit bedeutete.
Wie Holbeins Heiligengestalten weit sich entfernen von der Gespanntheit
spätgotischer Individualisierung, so ist das Kleid, das sie tragen, unterschieden
von dem spitzwinklig hartkantigen Gefälte der alten Zeit, ist ein reiches Gebilde
weich in Schattentälern und Lichtflächen sich gliedernder dichter Stoffmassen,
in deren freier Lagerung das Körpermotiv deutlich sich abhebt. Wieder ist es
charakteristisch, daß nicht ein selbständig gewordenes krauses Lineament die
Höhen und Tiefen der Falten umkriecht, daß die Linie als solche verschwindet,
weil sie der Form dient, die malerisch in Flächen von hell und dunkel sich
modelliert. Man begreift nicht die Schönheit dieser Zeichnungen, wenn man
dem einzelnen Strich zu folgen versucht, sondern erst dann, wenn man dem
anmutvollen Rhythmus sich hingebend, die freie Lagerung der Glieder nach-
erlebt, wenn man das wohlige Dasein der Menschen im Raume mitempfindend
genießt.
In diesem allgemeinsten Gefühlsgehalt vollendet sich der eigentliche Sinn
der Darstellungen. Es handelt sich nicht um das spezifische Erlebnis des Mutter-
glücks in den Madonnenzeichnungen, nicht um trauliches Familienleben in
dem großen Blatte der Anna Selbdritt (16). Ein heiliger Adrian (18), der wie
der Zwillingsbruder des heiligen Georg erscheint, den Holbein im Jahre 1522
auf einen Altarflügel malte, ist in dem gelösten Stehen, dem freien Halten von
Ambos und Schwert nichts als der Typus edler und selbstgewisser Männlich-
keit. Man fragt nicht nach dem Motiv einer nackten Frau, deren Körper in
kreisender Bewegung erscheint (Titelbild), weil die Steine, die sie in den Hän-
den trägt, genugsam erklärt sind in der belasteten Schwingung der Arme, dem
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