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Gleichen-Rußwurm, Alexander
Die Schönheit: ein Buch der Sehnsucht — Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.65310#0105
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XXII

Der Ozean ist besiegt, unerhörte Goldquellen öffnen sich, Europa
wird reich und prosaisch. Das Geld erhebt sich zur ersten
Weltmacht und verhilft dem Absolutismus zur Geburt, der folge-
richtig stehende Heere und alles gleich niederdrückende, was mit
diesem Schutz der Herrschaft zusammenhängt, einführen muß.
Gegen solche Häßlichkeiten empört sich noch einmal das ästhetische
Gefühl. Um die Persönlichkeit zu retten, verwendet es die Trümmer
des alten Ritterideals und der Renaissance zu stolzem Schönheits-
traum.
Spanien und Frankreich haben den größten Anteil daran, halten
an adeligen Begriffen fest im besten Sinn und betonen den
Gegensatz zu den nüchternen, spießbürgerlich werdenden Ideen,
die sich dem Absolutismus und dessen Unterdrückungsmitteln willig
hingeben.
In Spanien und Frankreich entartet aber auch das eigentümliche,
leidenschaftlich geliebte Schönheitsideal teilweise grotesk überspannt,
wie schon ein Don Quixote hatte enden müssen.
Der spanische Ehrbegriff und der ähnliche, dem übrigen Europa
nähergekommene französische Begriff des Ruhms — la gloire —
bildeten, mehr oder weniger verschmolzen und ineinander übergehend,
an der Schwelle der Neuzeit ein wichtiges Kapitel im Roman der
Menschenseele.
Unser schönes Wort glorreich ist demselben Sprachstamm wie gloire
angehörig und kommt dem Wort glorieux ziemlich nahe. Es kann
Wegweiser sein zum Verständnis des unübersetzbaren Begriffes la
gloire, der Ehre, Ruhmfreude, Glorreich-sein umfaßt. Spaniens und
Frankreichs Bühnenkunst widmen sich der Feststellung und Be-
reicherung des vielfach zusammengesetzten Begriffes. Er wird haupt-
sächlich von der Bühne her mit tönendem Wort, mit großer Geste
verkündet als Pflicht und Recht hochstehender Menschen.
Diese hochstehenden Menschen sehen selbstverständlich herab auf
alles kriechend Niedrige, Gemeine, Schachernde und Feile. Sie
bilden eine stolze Kaste, die sich unmöglich mit Gesindel mischen
kann und auch jede niedrig stehende Regung des eigenen Herzens
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