Von allen Seiten war es aufdringlich und auch heimlich auf das
niederträchtigste bedroht. Selbst an die edelsten Gemüter machten
sich Bitterkeit und Leichtsinn heran, Grausamkeit und Frivolität,
die den tiefgehenden Enttäuschungen der Revolution folgten.
Schier unmöglich ist es, sich heute zu vergegenwärtigen, welche
Hoffnungen für alle bis in die entferntesten Länder anfangs mit der
französischen Revolution verknüpft waren. Aus Briefen vernehmen
wir, wie man sich gerührt umarmte und Freudentränen vergoß, als
die Kunde von der Zerstörung der Bastille erscholl. Das letzte
Hindernis schien hinweggeräumt vor einem goldenen Zeitalter. Aber
an Stelle der Bastille erhob sich das Schafott. Das aus der Schatz-
kammer alter Ideale herausgekramte Ideal des tugendhaften Bürgers
erwies sich als traurig possenhaft. Man hatte einen solchen Unfug
getrieben mit schönen Worten, schönen Vorsätzen und Gesetzen,
daß die Schönheit selbst geschändet, entweiht, unmöglich geworden
schien.
Mit Entsetzen sahen die deutschen Geistesarbeiter, daß eine ganze
Nation wild und wahnsinnig taumelte, als sei die Phrase das giftigste
Rauschmittel. Wie sie litt und Leiden verhängte, fühlte Europa
und erfuhr zu seinem eigenen Schmerz, daß der schöne Glaube
ihr eigentliches Verhängnis war.
Aber in Jena und Weimar erkannte man auch, daß die himmlische
Schönheit nur scheinbar geschändet werden kann. Ungestraft trägt
nach dem Mythos Sophia das gelbe Kleid der Buhlerin. Man ver-
lor keineswegs den Glauben an die Schönheit, ja man gewann ihn
erst recht und stellte das Leben, des Lebens Arbeit mit heiliger
Inbrunst in den Dienst dieser Erlöserin aus allen Irrtümern. Ihrer
Aufgabe blieben sich die Klassiker bewußt trotz des traurigen
Schauspiels, das sich bot, und trotz des Unverstandes und der tau-
send Mißverständnisse, die ihnen begegneten.
Freilich, Goethe und Schiller hatten sich gefunden und — einer in
des andern Seele blickend — konnten sie nie mehr an der Schön-
heit verzweifeln.
Mit Hohn und strafenden Mienen sagten armselige Nörgler, beide
hätten sich in ihren ästhetischen Himmel zurückgezogen. Das
Vaterland war bedroht, die Welt aus den Fugen, aber beide ent-
165
niederträchtigste bedroht. Selbst an die edelsten Gemüter machten
sich Bitterkeit und Leichtsinn heran, Grausamkeit und Frivolität,
die den tiefgehenden Enttäuschungen der Revolution folgten.
Schier unmöglich ist es, sich heute zu vergegenwärtigen, welche
Hoffnungen für alle bis in die entferntesten Länder anfangs mit der
französischen Revolution verknüpft waren. Aus Briefen vernehmen
wir, wie man sich gerührt umarmte und Freudentränen vergoß, als
die Kunde von der Zerstörung der Bastille erscholl. Das letzte
Hindernis schien hinweggeräumt vor einem goldenen Zeitalter. Aber
an Stelle der Bastille erhob sich das Schafott. Das aus der Schatz-
kammer alter Ideale herausgekramte Ideal des tugendhaften Bürgers
erwies sich als traurig possenhaft. Man hatte einen solchen Unfug
getrieben mit schönen Worten, schönen Vorsätzen und Gesetzen,
daß die Schönheit selbst geschändet, entweiht, unmöglich geworden
schien.
Mit Entsetzen sahen die deutschen Geistesarbeiter, daß eine ganze
Nation wild und wahnsinnig taumelte, als sei die Phrase das giftigste
Rauschmittel. Wie sie litt und Leiden verhängte, fühlte Europa
und erfuhr zu seinem eigenen Schmerz, daß der schöne Glaube
ihr eigentliches Verhängnis war.
Aber in Jena und Weimar erkannte man auch, daß die himmlische
Schönheit nur scheinbar geschändet werden kann. Ungestraft trägt
nach dem Mythos Sophia das gelbe Kleid der Buhlerin. Man ver-
lor keineswegs den Glauben an die Schönheit, ja man gewann ihn
erst recht und stellte das Leben, des Lebens Arbeit mit heiliger
Inbrunst in den Dienst dieser Erlöserin aus allen Irrtümern. Ihrer
Aufgabe blieben sich die Klassiker bewußt trotz des traurigen
Schauspiels, das sich bot, und trotz des Unverstandes und der tau-
send Mißverständnisse, die ihnen begegneten.
Freilich, Goethe und Schiller hatten sich gefunden und — einer in
des andern Seele blickend — konnten sie nie mehr an der Schön-
heit verzweifeln.
Mit Hohn und strafenden Mienen sagten armselige Nörgler, beide
hätten sich in ihren ästhetischen Himmel zurückgezogen. Das
Vaterland war bedroht, die Welt aus den Fugen, aber beide ent-
165