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DER KAMPF MIT DEM WESTEN

neue Formen schuf. So kommen jene hochgespannten aber in ihrer Zwiespäl-
tigkeit unangenehm berührenden Schöpfungen wie die Katakombenmalereien
Roms zustande, in denen eine die Zufälligkeit der Erscheinung festhaltende Technik
den Zweifel an der Realität der Erscheinung offenbar werden läßt, aber die
große Gebärde der Hände, die Übertreibung der Augen als die seelisch ausdrucks-
vollsten Organe u.a.m.doch nicht über die Unzulänglichkeit der gestaltlichen Mittel
hinwegtäuscht, und den ohnmächtigen Kampf wiederspiegelt, das Übersinnliche
mit den veräußerlichten Mitteln einer in sich zerfallenen Kultur auszudrücken.
Und doch — wo der Westen über sich selbst reflektierend erkennt und
sich seiner Unzulänglichkeit bewußt wird, da bietet der Osten immer wieder
neue erlösende Möglichkeiten. So wachsen die Mittel der Darstellung über den
bloßen Zweck der Gestaltwiedergabe hinaus, Farbe und Linie bekommen in der
Gesamtheit des Bildes ihren Eigenwert, werden zum Rhythmus, wie wir ihn
bereits in Schrift und Ornament zum Ausdruck kommen sahen. Freilich bleibt
hier noch die Gestalt ein Hindernis, doch fügt sie sich dem Gesamtrhythmus,
die Figuren werden gestreckt (Tafeln 51,52) oder gekürzt,oder erhalten überhaupt
durch Einpassung in die gegebene Rahmung Verhältnisse, die eine Unterstellung
der individuellen organischen Proportionen unter die frei rhythmischen oder
mathematischen bedeuten. Aber auch darin hat das individualistisch Westliche
noch seine Möglichkeiten, indem der Rhythmus vielfach im Sinne des persönlichen
Charakters einer Handschrift verwertet, der Linienzug zum Ausdruck persönlichen
Empfindens verwendet ist, und so durch die Verzerrung der Naturgestalt Feierliches
(Tafel 52), Groteskes (Tafel 39) u. a. m. lebendig gemacht wird. Es ist wie ein
letztes Aufbäumen des Individualismus gegenüber dem überpersönlichen Geiste
des Ostens.
So ist das Bild dieser Kunst, zumal in den Zentren des damaligen äußeren
Weltgeschehens, in Rom und in den hellenistischen Großstädten ein äußerst
vielfältiges und durch den Kampf ein äußerst bewegtes. Gerade dort werden
wir uns aber immer wieder bewußt, daß dieser Reichtum, diese Vielfältigkeit den
Zerfall eines großen Komplexes bedeutet, der durch die verschiedensten hier zu-
sammenströmenden Elemente hervorgerufen wird. Und doch steht neben diesem
Zerfall der Aufbau, nicht dadurch, daß die ungebundene, volkstümliche Urkraft
sich die Reste westlicherOrganisation zu eigen macht, sondern darin, daß dieGesetze
der östlichen Geistigkeit die zerbrochenen Formen des Westens in eine neue
Ordnung zwingen. Die alten westlichen Gestalten werden dann gleichsam als
 
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