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DER AUSGLEICH IM FRÜHEN BYZANZ
die unräumlich übereinandergesetzten Felsterrassen der iranischen Symbolland-
schaften eingeordnet sind. Vor allem macht sich aber das bewußt Kirchliche
dadurch geltend, daß an die Stelle der legendenhaften oder historischen Zu-
sammenstellung der einzelnen Bilder die Verteilung bestimmter Darstellungen
auf die entsprechenden Stellen des Kirchengebäudes tritt, wobei etwa die
Aufgabe der Evangelisten oder Apostel als Stützen der Kirche durch ihre An-
bringung an den Tragepfeilern oder durch ihre reihenmäßige Vorführung an
der Kuppelbasis in einem aufstrebenden Rankengefüge ausgedrückt wird (vgl.
unten, Tafel 84). Oder aber es erscheint an hervorragender Stelle den Forde-
rungen kirchlicher und weltlicher Macht entsprechend in der Apsis Christus
als Überbringer des Gesetzes oder als der auf der Weltkugel thronende Welt-
beherrscher (Tafel 45). Der westliche Machtgedanke des römischen Kaiser-
tums, wie er hier gegenständlich zum Ausdruck gelangt, ist aber bereits aufs
innigste mit der östlichen Herrscheridee verschmolzen. Wie in den iranischen
Reliefs der persische Lichtgott (s. Band V dieser Serie, Tafeln 56, 78), so ist
in Ravenna Christus als der das Diadem als Zeichen göttlicher Machtbefugnis
überreichende Gott mit dem lichtumgebenen Haupte eingeführt; Engel stehen
als Trabanten vermittelnd zwischen dem unnahbaren Herrscher- Gott, dem von
links mit zeremoniell bedeckten Händen heranschreitenden heiligen Vitalis und
dem das Kirchenmodell darbringenden Stifter Ecclesius. Das Ganze ist in jene
abstrakte, mit verstreuten Blumen durchsetzte, von den vier Paradiesströmen
bewässerte und vom Morgenrot überstrahlte Landschaft gehoben, wie sie uns
im Awesta als Ausdruck der Macht und Herrlichkeit der Geister beschrieben wird
(vgl. S. 8 f.). Und gerade darin, wie die einer naturalistisch darstellenden
Kunst des Westens entnommenen menschlichen Figuren wie selbstverständlich
in die abstrakte Goldfläche jener unsinnlichen und in ihrer unillusionistischen
Art gänzlich unantiken Landschaft eingefügt sind, wie hier die sinnliche mit
einer übersinnlichen Welt in Einklang gebracht wird, kommt die Durchdringung
der beiden Weltanschauungen zum Ausdruck.
Benachbart dieser Darstellung, die die göttliche Machtidee in den Formen
menschlicher Herrschaft zur Erscheinung bringt, sind an den beiden Wangen des
Apsisraumes von SanVitale die beiden Mosaiken angefügt, die den Kaiser Justinian
und seine Gemahlin Theodora als Vertreter der weltlichen Macht im feierlichen
Aufzuge ihre Geschenke für die Kirche bringend schildern (Tafeln 46, 47). Auch
hier sind die Gegensätze individualistischer und überpersönlicher, sinnlicher und
DER AUSGLEICH IM FRÜHEN BYZANZ
die unräumlich übereinandergesetzten Felsterrassen der iranischen Symbolland-
schaften eingeordnet sind. Vor allem macht sich aber das bewußt Kirchliche
dadurch geltend, daß an die Stelle der legendenhaften oder historischen Zu-
sammenstellung der einzelnen Bilder die Verteilung bestimmter Darstellungen
auf die entsprechenden Stellen des Kirchengebäudes tritt, wobei etwa die
Aufgabe der Evangelisten oder Apostel als Stützen der Kirche durch ihre An-
bringung an den Tragepfeilern oder durch ihre reihenmäßige Vorführung an
der Kuppelbasis in einem aufstrebenden Rankengefüge ausgedrückt wird (vgl.
unten, Tafel 84). Oder aber es erscheint an hervorragender Stelle den Forde-
rungen kirchlicher und weltlicher Macht entsprechend in der Apsis Christus
als Überbringer des Gesetzes oder als der auf der Weltkugel thronende Welt-
beherrscher (Tafel 45). Der westliche Machtgedanke des römischen Kaiser-
tums, wie er hier gegenständlich zum Ausdruck gelangt, ist aber bereits aufs
innigste mit der östlichen Herrscheridee verschmolzen. Wie in den iranischen
Reliefs der persische Lichtgott (s. Band V dieser Serie, Tafeln 56, 78), so ist
in Ravenna Christus als der das Diadem als Zeichen göttlicher Machtbefugnis
überreichende Gott mit dem lichtumgebenen Haupte eingeführt; Engel stehen
als Trabanten vermittelnd zwischen dem unnahbaren Herrscher- Gott, dem von
links mit zeremoniell bedeckten Händen heranschreitenden heiligen Vitalis und
dem das Kirchenmodell darbringenden Stifter Ecclesius. Das Ganze ist in jene
abstrakte, mit verstreuten Blumen durchsetzte, von den vier Paradiesströmen
bewässerte und vom Morgenrot überstrahlte Landschaft gehoben, wie sie uns
im Awesta als Ausdruck der Macht und Herrlichkeit der Geister beschrieben wird
(vgl. S. 8 f.). Und gerade darin, wie die einer naturalistisch darstellenden
Kunst des Westens entnommenen menschlichen Figuren wie selbstverständlich
in die abstrakte Goldfläche jener unsinnlichen und in ihrer unillusionistischen
Art gänzlich unantiken Landschaft eingefügt sind, wie hier die sinnliche mit
einer übersinnlichen Welt in Einklang gebracht wird, kommt die Durchdringung
der beiden Weltanschauungen zum Ausdruck.
Benachbart dieser Darstellung, die die göttliche Machtidee in den Formen
menschlicher Herrschaft zur Erscheinung bringt, sind an den beiden Wangen des
Apsisraumes von SanVitale die beiden Mosaiken angefügt, die den Kaiser Justinian
und seine Gemahlin Theodora als Vertreter der weltlichen Macht im feierlichen
Aufzuge ihre Geschenke für die Kirche bringend schildern (Tafeln 46, 47). Auch
hier sind die Gegensätze individualistischer und überpersönlicher, sinnlicher und