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Glück, Heinrich; Cohn, William [Hrsg.]
Die Kunst des Ostens (Band 8): Die christliche Kunst des Ostens — Berlin: Cassirer, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.73316#0018
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URCHRISTENTUM

geboren, welche dieWelt nicht mehr alsWunder erleben, nur als äußere Erscheinung
erkennen können. Das Urchristentum und seine Kunst ist keine Angelegenheit
politischer Machtsphären, sondern aus dem starken Boden kindlichen Volksgeistes
entsprossen. Dieser Geist ist das Primäre und Lebendige. Und so liegt das
Schöpferische gerade der christlichen Kunst des Ostens in der Idee, nicht im
Gestaltlichen. Wenn sie sich in der Folge der Gestalten- und Formenwelt von
Zivilisationskünsten bedient, so bedeutet das noch nicht, daß sie aus ihnen geboren
wurde, daß sie selbst nicht schöpferisch war. Um so schwieriger aber ist es für uns,
das Östliche in der christlichen Kunst zu erkennen, da dies gestaltlich fast nur
im Westen faßbar wird, und wir selbst gewohnt sind, Kunst nur nach den äußeren
Mitteln der Darstellung zu bewerten. Wir übersehen leicht die ungeheure schöp-
ferische Kraft, wie sie nur der mythenbildenden religiösen Jugend der Völker
eignet, vor dem Glanz der Zivilisationsprodukte. Wie Vergil ohne die Schöpfer
der homerischen Gesänge nicht zu denken ist, so die christliche Kunst des Westens
nicht ohne die Ideen des Ostens. Nicht auf die Mittel, nicht auf die äußeren
Zeichen kommt es zunächst an, sondern auf den Sinn, der hinter den Zeichen
lebendig ist.
Schon das Wort ist Zeichen. Es wirkt in der Lehre und im Gebet. In der
Lehre wird das Gleichnis für die Idee gesetzt. Schon darin wird das Wort zum
Bilde, wenn auch nicht zum gemalten oder gemeißelten. So die Erzählung vom
guten Hirten als Gleichnis für die Errettung der Seele. Unmittelbar aus dem
Leben gegriffen haften die Worte dieses Bildes in der Volksseele. Mag dann
auch ein solches durch Worte geprägtes Bild im antiken Kunstgebiete des Westens
auf genrehafte Darstellungen von Hirtenszenen gestoßen sein und deren Gestalten
und Formen übernommen haben (Tafel 24), so bedeutet dies nur, daß für die Idee
statt des primären und schöpferischen Wortbildes die Darstellung tritt, und um
so deutlicher erkennen wir, daß die aus der reinen Lehre erwachsene christliche
Kunst von Anfang an nicht auf die bildliche Darstellung der Idee gerichtet ist.
Das Wortbild als Gleichnis ist entscheidend und ist — schon in der Auswahl der
Darstellungen — auch dort entscheidend, wo christlicher Geist sich der ihm
fremden Darstellungsmittel bedient. Solange das Wort lebendig ist, bedarf es
keiner Darstellung.
Deutlicher noch wird dies erkennbar, wo das Wort im Gebete wirkt. Auch
da steht für den Sinn das Gleichnis. So heißt es: „Herr, erhöre meine Bitte
(um Erlösung), wie du den Jonas erhört hast aus dem Leibe des Ungeheuers, . ...
 
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