URCHRISTENTUM
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sich mehr und mehr, wo sich das Christentum westlicher Schriftzeichen bedient
Immerhin hat auch da noch vielfach der Osten genugsam Kraft, um die Schrift zum
Kunstwerk zu erheben, nicht totes Zeichen werden zu lassen. Die Titelzeilen auch
noch der späteren griechischen Handschriften (Tafel 3) und die heiligen Namen
der Dargestellten auf Fresken, Mosaiken und Ikonen (Tafeln 118/19, 128) sind in
eigenen hieratischen Zeichen gehalten, die durch Jahrhunderte ihren Charakter
bewahren und vor der persönlichen Ausgestaltung durch die Hand des Schreibers
oder Malers geschützt sind. Noch sind auch hier Schrift, Ornament und Dar-
stellung nicht bloße ornamentale Füllung einer gegebenen begrenzten Fläche,
sondern sind selbst flächenbildend, noch ist auch der gesanglich fortlaufende
Rhythmus durch Wort- und Satztrennung nicht gestört, Wortbild und gram-
matikalisches Wissen haben der Sprache den inneren Schwung noch nicht
genommen. Aber wie nun doch mitunter die westlich-räumliche Auffassung
des begleitenden Bildes den Rhythmus der Fläche durchbricht (Tafel 3), das
Ornament in eine selbständig umgrenzte Fläche gebannt wird und seinem eigenen
Rhythmus folgt, so wird auch der Buchstabe verselbständigt, verliert den ihm
eigenen rhythmischen Wert und unterliegt der persönlichen Formung durch den
Schreiber, und schon beginnen die einzelnenWorte den Satz, nicht mehr der Rhyth-
mus den Sinn zu bilden. Das bedeutet im westlichen Sinne eine Bereicherung, im
östlichen Sinne eine Verarmung, Veräußerlichung, Mechanisierung. In nichts
wird dies klarer, als wenn im selben Momente der Schreiber sich bemüßigt fühlt,
den Verlust an unmittelbar durch die Handschrift gegebenem gesanglichen Aus-
druck nun durch eigene Notationen über den Lauten und Worten wettzumachen
(Tafel 2b), oder die magische Kraft des Zeichens wenigstens in geometrischen
Anordnungen oder durch die besondere ornamentale Ausgestaltung der Initialen
zu retten.
Das armenische Schrifttum geht demgegenüber stärker in den rein östlichen
Bahnen. Seine Zeichen — ob in gewöhnlicher oder in Zierschrift gebraucht —
haben noch ihre eigene persönliche Monumentalität. Die Initiale (Tafel 6), mag
sie auch figürlich sein, fügt sich geschlossen dem Gesamtbilde, wie sich denn über-
haupt Schrift, Ornament und Bild kaum verselbständigt haben und stark inein-
anderklingen (Tafel 7).
Wie im Osten Schrift überhaupt nie Gemeingut wurde, immer Geheimnis und
heilig blieb, so erhält sich auch im östlichen Christentum ihre hohe künstlerische
Stellung als Kalligraphie durch Jahrhunderte, und in ihr bleibt urchristlicher
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sich mehr und mehr, wo sich das Christentum westlicher Schriftzeichen bedient
Immerhin hat auch da noch vielfach der Osten genugsam Kraft, um die Schrift zum
Kunstwerk zu erheben, nicht totes Zeichen werden zu lassen. Die Titelzeilen auch
noch der späteren griechischen Handschriften (Tafel 3) und die heiligen Namen
der Dargestellten auf Fresken, Mosaiken und Ikonen (Tafeln 118/19, 128) sind in
eigenen hieratischen Zeichen gehalten, die durch Jahrhunderte ihren Charakter
bewahren und vor der persönlichen Ausgestaltung durch die Hand des Schreibers
oder Malers geschützt sind. Noch sind auch hier Schrift, Ornament und Dar-
stellung nicht bloße ornamentale Füllung einer gegebenen begrenzten Fläche,
sondern sind selbst flächenbildend, noch ist auch der gesanglich fortlaufende
Rhythmus durch Wort- und Satztrennung nicht gestört, Wortbild und gram-
matikalisches Wissen haben der Sprache den inneren Schwung noch nicht
genommen. Aber wie nun doch mitunter die westlich-räumliche Auffassung
des begleitenden Bildes den Rhythmus der Fläche durchbricht (Tafel 3), das
Ornament in eine selbständig umgrenzte Fläche gebannt wird und seinem eigenen
Rhythmus folgt, so wird auch der Buchstabe verselbständigt, verliert den ihm
eigenen rhythmischen Wert und unterliegt der persönlichen Formung durch den
Schreiber, und schon beginnen die einzelnenWorte den Satz, nicht mehr der Rhyth-
mus den Sinn zu bilden. Das bedeutet im westlichen Sinne eine Bereicherung, im
östlichen Sinne eine Verarmung, Veräußerlichung, Mechanisierung. In nichts
wird dies klarer, als wenn im selben Momente der Schreiber sich bemüßigt fühlt,
den Verlust an unmittelbar durch die Handschrift gegebenem gesanglichen Aus-
druck nun durch eigene Notationen über den Lauten und Worten wettzumachen
(Tafel 2b), oder die magische Kraft des Zeichens wenigstens in geometrischen
Anordnungen oder durch die besondere ornamentale Ausgestaltung der Initialen
zu retten.
Das armenische Schrifttum geht demgegenüber stärker in den rein östlichen
Bahnen. Seine Zeichen — ob in gewöhnlicher oder in Zierschrift gebraucht —
haben noch ihre eigene persönliche Monumentalität. Die Initiale (Tafel 6), mag
sie auch figürlich sein, fügt sich geschlossen dem Gesamtbilde, wie sich denn über-
haupt Schrift, Ornament und Bild kaum verselbständigt haben und stark inein-
anderklingen (Tafel 7).
Wie im Osten Schrift überhaupt nie Gemeingut wurde, immer Geheimnis und
heilig blieb, so erhält sich auch im östlichen Christentum ihre hohe künstlerische
Stellung als Kalligraphie durch Jahrhunderte, und in ihr bleibt urchristlicher