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DER KAMPF MIT DEM WESTEN

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Freilich nicht der Ausdruck dieses oder jenes bestimmten Löwen, sondern der
Ausdruck derVorstellung,den der einzelneBildner selbst von derGattungLöwe hat.
Dieser bannendeAusdruck geht mehr und mehr verloren, sobald sich der Bildner
der anatomisch festgelegten Art westlicher Darstellungsweise nähert (Abb. 2e).
Diese Art, die nur aus einem urkräftigen Volkstum, wie in unserem Falle dem
koptisch-ägyptischen, erwachsen kann, verliert also ihre ganze unmittelbare
Stärke, wo sie auf die erkenntnisreichere aber erlebnisärmere Stufe des Westens
gehoben wird.
Noch augenfälliger wird der Kampf mit dem Westen, wo dieser in seiner
übertriebensten zivilisatorischen Ausgestaltung in den Großstädten unmittel-
bar mit dem Volkstümlichen zusammentrifft. Da erscheint es zunächst höchst
sonderbar, wenn wir christliche Kirchen mit heidnischen Szenen wie Leda mit dem
Schwan (Tafel 28c) oder Orpheus mit den wilden Tieren (Tafel 28b) — freilich
in allegorischer christlicher Umdeutung — ausgeschmückt finden. Kommt hier
schon im Gegenständlichen jene Geistigkeit zum Ausdruck, die als Theosophie,
Magie, Gnosis, Kosmologie usw. in die alten verbrauchten Gefäße antiker
Mythologie einen neuen, fremden, aus den verschiedensten Kulturen des Ostens
entlehnten Inhalt zu gießen sucht, so gilt dies nicht weniger für die gestaltlichen
Motive, aus denen sich diese Gegensätze zusammensetzen. So erscheint in dem
koptischen Relief Tafel 29 das Meer durch einen auf dem Delphin reitenden
Tritonenknaben, der Himmel durch die lockenumwallte Maske, also durch die
dem hellenistischen Kreise entnommenen Gestalten dargestellt, während die
die Bänder haltenden Nereiden (?) in ihrer Stellung und Gebärde, in ihrer
weichlichen Nacktheit und dem Betonen des Hals- und Ohrenschmuckes auf-
fallend an indische, zentral- und ostasiatische Gestalten gemahnen (vgl. z. B.
Band II dieser Serie, Tafel 14). Gewandung, Befiederung, Behaarung verliert
den Sinn des Organischen, erhält aber die Gesetzmäßigkeit des Ornamentalen
und ursprünglicher Handwerklichkeit (Tafel 28). An die Stelle des Empfindens für
die Stofflichkeit des Dargestellten tritt das Empfinden für die Stofflichkeit des
Materials, in unserem Falle des weichen, leicht schneidbaren Steines. Die Gestalt
wirkt dann nicht mehr durch ihre eigene Körperlichkeit als ein in sich geschlossener
organischer Zusammenhang, sondern als ein Teil des gesamten Werkstückes
dadurch, daß sie sich als abstrakter Helligkeitswert von dem umgebenden Dunkel
abhebt. Wie die Figuren so ist auch das Rankenwerk (Tafel 27) in überlegter
Ordnung so aneinandergereiht, daß der zwischen den einzelnen Teilen liegende
 
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