20 DER KAMPF MIT DEM WESTEN
der Osten die Dinge beurteilt, nicht wie sie scheinen, sondern wie sie in der
Vorstellung sind. Freilich ruft die Inkonsequenz, mit der das antike Kunstgut,
wie die Davidgruppe, als einzelne den Zufälligkeiten des Standpunktes und der
Beleuchtung unterworfene plastisch gesehene Gestalten in die ornamentalen
Gesetze der Flächenhaftigkeit eingefügt ist, den Eindruck des Unausgeglichenen,
Unverdauten und damit künstlerisches Mißbehagen hervor, das Mißbehagen vor
der Kultur einer städtischen Oberschicht, der die ursprüngliche volkstümliche
Kraft mangelt, das Eigene — weil es starr geworden — einem Neuen anzupassen.
Deshalb befriedigen oft die späteren, auf einem volkstümlicheren, wie dem
slavischen Boden geschaffenen Kopien solcher Kompositionen mehr (Tafel 11),
weil die Einzelgestalt, mag sie auch noch das antike Vorbild verraten, ihre
individuelle und plastische Geltung verloren hat, zum typischen Zeichen
geworden ist.
Aber auch schon in der altchristlichen Zeit hat jenes krasse Nebeneinander
zweier Weltanschauungen einen hochwertigen künstlerischen Ausgleich gefunden,
wo kirchliche oder weltliche Organisation die Unterstellung des Individuums
unter ein geschaffenes Gesetz verlangte, wo der Glauben freiwillig als Gesetz
auf sich genommen wurde. Aus solchen Voraussetzungen sind wohl Miniaturen
entstanden, als deren prächtigstes Beispiel der auf Purpurgrund gemalte Codex
von Rossano zu gelten hat (Tafeln 8—10). Westlich ist hier die historische, nicht
symbolische Vorführung der einzelnen Szenen der Christuslegende, westlich
auch die realistische, teils auch genrehafte Wiedergabe der Handlung, westlich
zum Teil die Einzelgestalten, Gewänder, auch noch einzelne, die Um-
gebung charakterisierende Gegenstände und die noch einigermaßen malerisch-
plastische Durchmodellierung der Körper. Und doch wirken diese antiken
Reminiszenzen kaum mehr als Fremdkörper, die sich in einen andersartigen
Zusammenhang verirrt haben. Sie begleiten nicht als bloße Verdeutlichung des
Wortes den Text, sind aus diesem ausgeschieden und stehen so — nur durch
einzelne Verse erläutert — gleichsam als Inhaltsangabe für die eine religiöse
Idee ausdrückende liturgische Handlung, die jedesmal durch die mit den Zitaten
ihrer Schriftstellen hinzugemalten Evangelisten mit erhobener Rechten als wahres
Gesetz bezeugt werden (Tafel 8). Das Abendmahl ist hier nicht Gelegenheit
zur Charakterisierung verschieden reagierender Persönlichkeiten. In feierlicher
Zeremonie, in der jedes Individuum sich seiner Unterordnung bewußt ist, schreiten
die Apostel vor die Gestalt des goldummantelten König-Christus, und nur der
der Osten die Dinge beurteilt, nicht wie sie scheinen, sondern wie sie in der
Vorstellung sind. Freilich ruft die Inkonsequenz, mit der das antike Kunstgut,
wie die Davidgruppe, als einzelne den Zufälligkeiten des Standpunktes und der
Beleuchtung unterworfene plastisch gesehene Gestalten in die ornamentalen
Gesetze der Flächenhaftigkeit eingefügt ist, den Eindruck des Unausgeglichenen,
Unverdauten und damit künstlerisches Mißbehagen hervor, das Mißbehagen vor
der Kultur einer städtischen Oberschicht, der die ursprüngliche volkstümliche
Kraft mangelt, das Eigene — weil es starr geworden — einem Neuen anzupassen.
Deshalb befriedigen oft die späteren, auf einem volkstümlicheren, wie dem
slavischen Boden geschaffenen Kopien solcher Kompositionen mehr (Tafel 11),
weil die Einzelgestalt, mag sie auch noch das antike Vorbild verraten, ihre
individuelle und plastische Geltung verloren hat, zum typischen Zeichen
geworden ist.
Aber auch schon in der altchristlichen Zeit hat jenes krasse Nebeneinander
zweier Weltanschauungen einen hochwertigen künstlerischen Ausgleich gefunden,
wo kirchliche oder weltliche Organisation die Unterstellung des Individuums
unter ein geschaffenes Gesetz verlangte, wo der Glauben freiwillig als Gesetz
auf sich genommen wurde. Aus solchen Voraussetzungen sind wohl Miniaturen
entstanden, als deren prächtigstes Beispiel der auf Purpurgrund gemalte Codex
von Rossano zu gelten hat (Tafeln 8—10). Westlich ist hier die historische, nicht
symbolische Vorführung der einzelnen Szenen der Christuslegende, westlich
auch die realistische, teils auch genrehafte Wiedergabe der Handlung, westlich
zum Teil die Einzelgestalten, Gewänder, auch noch einzelne, die Um-
gebung charakterisierende Gegenstände und die noch einigermaßen malerisch-
plastische Durchmodellierung der Körper. Und doch wirken diese antiken
Reminiszenzen kaum mehr als Fremdkörper, die sich in einen andersartigen
Zusammenhang verirrt haben. Sie begleiten nicht als bloße Verdeutlichung des
Wortes den Text, sind aus diesem ausgeschieden und stehen so — nur durch
einzelne Verse erläutert — gleichsam als Inhaltsangabe für die eine religiöse
Idee ausdrückende liturgische Handlung, die jedesmal durch die mit den Zitaten
ihrer Schriftstellen hinzugemalten Evangelisten mit erhobener Rechten als wahres
Gesetz bezeugt werden (Tafel 8). Das Abendmahl ist hier nicht Gelegenheit
zur Charakterisierung verschieden reagierender Persönlichkeiten. In feierlicher
Zeremonie, in der jedes Individuum sich seiner Unterordnung bewußt ist, schreiten
die Apostel vor die Gestalt des goldummantelten König-Christus, und nur der