DER KAMPF MIT DEM WESTEN
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selbst wieder in den Gesamtrhythmus eingebundene Linienzug läßt das Sehnen
oder die scheue Zurückhaltung vor dem Wunder zum Ausdruck kommen. Raumlos
sind diese Bilder, da die Umgebung vom Wesentlichen ablenken könnte, das
Wesentliche ist aber voll inhaltlich erzählt. Christus steht vor Pilatus (Tafel 10):
Richterstuhl und Tisch als einzige und genügende Andeutung der Umgebung;
das anklagende Volk im Halbkreis, Christus würdig zwischen zwei Hofbeamten,
der Verbrecher Barabas gefesselt und gebeugt zwischen zwei Bütteln im Vorder-
grunde. Die räumliche Situation ist freilich nicht durch illusionistische Mittel
vorgetäuscht, aber sie ist vollkommen klar ausgesprochen: Die Unklarheit der
Überschneidung ist durch die Trennung in zwei Bildhälften vermieden, und doch
ist der begriffliche Zusammenhang durch das Gegenüber des Richters und der
mittleren Rückenfigur gegeben, die erhöhte Gestalt Christi wieder räumlich durch
die Blickrichtung zu dieser Figur eingeordnet, im Flächenaufbau des Bildes aber
durch die diagonal gestellte Figur des Gerichtsschreibers ausgewogen. Hier
spielen also wohlüberlegte künstlerische Gesetze.
Eine der eigentümlichsten und bezeichnendsten Miniaturen dieserHandschrift
ist schließlich das Gethsemane-Bild (Tafel 9). Hier, wo durch den Text die
Schilderung der Umgebung nahegelegt war, erweckt es besonderes Interesse,
wie sich der Künstler zur Darstellung der landschaftlichen Szenerie stellte. Die
Sternennacht hätte Anlaß zur Durchführung aller jener impressionistischen Raum-,
Licht- und Stimmungswerte geben können, wie sie sonst in westlichen Miniaturen
und Wandgemälden durch Auflösung der Umrisse, durch die tonige Abstimmung
landschaftlicher Fernen eben als eine auf die Sinne wirkende Eindruckskunst
verwendet wurden. Wohl ist auch hier ein grünblauer Schimmer über die Land-
schaft gegossen und verschwimmen die Felsen des Hintergrundes in dunklerer
Färbung, aber diese Landschaft gibt keinen Augeneindruck wieder: In rhyth-
mischem Zuge sind felsenartige Gebilde aneinandergereiht, und diesem schweren
Rhythmus fügen sich die menschlichen Gestalten ein, die drei Apostel selbst nur
ein farbiger oder linearer Akkord in dieser Symphonie, Christus einmal hingelegt
in diese hingegossenen Felspartien, das andere Mal gebeugt, die Schläfer
ermahnend, neben dem wie im Aufstreben niedergehaltenen Felsen. So fügt sich
mit der Landschaft die göttliche Person selbst, wo ihr Menschliches am stärksten
zur Geltung kam, auch in der künstlerischen Darstellung in ein überpersönliches
Gesetz. Was aber gerade dadurch an tragischer Spannung ausdrucksvoll in
die Erscheinung tritt, das findet seine Lösung in der unendlichen Ruhe des
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selbst wieder in den Gesamtrhythmus eingebundene Linienzug läßt das Sehnen
oder die scheue Zurückhaltung vor dem Wunder zum Ausdruck kommen. Raumlos
sind diese Bilder, da die Umgebung vom Wesentlichen ablenken könnte, das
Wesentliche ist aber voll inhaltlich erzählt. Christus steht vor Pilatus (Tafel 10):
Richterstuhl und Tisch als einzige und genügende Andeutung der Umgebung;
das anklagende Volk im Halbkreis, Christus würdig zwischen zwei Hofbeamten,
der Verbrecher Barabas gefesselt und gebeugt zwischen zwei Bütteln im Vorder-
grunde. Die räumliche Situation ist freilich nicht durch illusionistische Mittel
vorgetäuscht, aber sie ist vollkommen klar ausgesprochen: Die Unklarheit der
Überschneidung ist durch die Trennung in zwei Bildhälften vermieden, und doch
ist der begriffliche Zusammenhang durch das Gegenüber des Richters und der
mittleren Rückenfigur gegeben, die erhöhte Gestalt Christi wieder räumlich durch
die Blickrichtung zu dieser Figur eingeordnet, im Flächenaufbau des Bildes aber
durch die diagonal gestellte Figur des Gerichtsschreibers ausgewogen. Hier
spielen also wohlüberlegte künstlerische Gesetze.
Eine der eigentümlichsten und bezeichnendsten Miniaturen dieserHandschrift
ist schließlich das Gethsemane-Bild (Tafel 9). Hier, wo durch den Text die
Schilderung der Umgebung nahegelegt war, erweckt es besonderes Interesse,
wie sich der Künstler zur Darstellung der landschaftlichen Szenerie stellte. Die
Sternennacht hätte Anlaß zur Durchführung aller jener impressionistischen Raum-,
Licht- und Stimmungswerte geben können, wie sie sonst in westlichen Miniaturen
und Wandgemälden durch Auflösung der Umrisse, durch die tonige Abstimmung
landschaftlicher Fernen eben als eine auf die Sinne wirkende Eindruckskunst
verwendet wurden. Wohl ist auch hier ein grünblauer Schimmer über die Land-
schaft gegossen und verschwimmen die Felsen des Hintergrundes in dunklerer
Färbung, aber diese Landschaft gibt keinen Augeneindruck wieder: In rhyth-
mischem Zuge sind felsenartige Gebilde aneinandergereiht, und diesem schweren
Rhythmus fügen sich die menschlichen Gestalten ein, die drei Apostel selbst nur
ein farbiger oder linearer Akkord in dieser Symphonie, Christus einmal hingelegt
in diese hingegossenen Felspartien, das andere Mal gebeugt, die Schläfer
ermahnend, neben dem wie im Aufstreben niedergehaltenen Felsen. So fügt sich
mit der Landschaft die göttliche Person selbst, wo ihr Menschliches am stärksten
zur Geltung kam, auch in der künstlerischen Darstellung in ein überpersönliches
Gesetz. Was aber gerade dadurch an tragischer Spannung ausdrucksvoll in
die Erscheinung tritt, das findet seine Lösung in der unendlichen Ruhe des