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DER AUSGLEICH IM FRÜHEN BYZANZ
indifferenten Boden. Verschwenderischer Luxus und frommer Glaube, unum-
schränkte Herrschergewalt und die Macht des Volkswillens, die Intrigen
kirchlichen Machtstreites und wahrhafter religiöser Eifer, leere Phrasenhaftigkeit
und tiefe Innerlichkeit gelangten zu einer kaum trennbaren Durchdringung.
Dieser eigentümlichen Vermengung zweier Weltanschauungen entsprach
auch die der Kunstanschauungen. Dem Streben nach dem Großartigen,
Monumentalen unterstellt die Macht die künstlerischen Kräfte aller Zonen. Was
eine natürliche Entwicklung durch die Jahrhunderte vorbereitet hatte, ohne noch
einen allgemeingültigen befriedigenden Ausgleich geschaffen zu haben, das über-
nimmt jetzt die Organisation. War schon früher, wie in der Sarkophagplastik,
ein nach lokalen Schulen gesonderter Werkstättenbetrieb festzustellen, so wurde
dieser nun in den kaiserlichen Werkstätten fabriksmäßig vereinigt. In den
Steinwerkstätten der Prokonnesis wird im Zusammenarbeiten der verschiedenen
provinziellen Elemente der Bauschmuck für den ganzen weiten Umkreis des Reiches
auf Lager und Bestellung geschaffen. Die so entstehenden Typen von Kapitellen
(Tafeln 14, 15), Schrankenplatten (Tafel 26) und Säulen sind als Exportware
in gleicher Weise in Griechenland, in den östlichen Provinzen, in Ägypten,
Italien, an der Dalmatinischen Küste und in Nordafrika zu finden. Justinian
errichtet in Konstantinopel Textilfabriken, der Seidenhandel wird Staatsmonopol.
Und so entstehen auch die großen Bauten dieses Kaisers in und außerhalb der
Hauptstadt als Ergebnisse eines großartigen aber künstlichen Zusammenwirkens
aller verfügbaren Kräfte.
Als eines der Weltwunder entsteht die Sophienkirche in Konstantinopel.
„Ich habe dich übertroffen, o Salomo!" ruft der Kaiser bei der Einweihung
aus, stolz auf die technische Riesenleistung, in der West- und Ostgeist zusammen-
gefügt sind (Tafel 40). Endlos und doch mit dem ersten Blick den Eintretenden
nach allen Seiten und bis zum Scheitel der Kuppel überschaubar erscheint dieser
Raum. Die zentrale Kuppel beherrscht den Baugedanken, gibt eine Mitte, von
der der Raum nach allen Seiten ausstrahlt, in der das Unendliche von allen Seiten
gesammelt wird: Orientalischer Unendlichkeitsgedanke, richtungsloses in sich
Beharren. Und doch: die Säulenfluchten rechts und links unterbinden die freie
Entfaltung des Zentralraumes, zwingen zum Schreiten, geben Ziel und Richtung
im Sinne des Westens. Die unendliche Weite wird an den Seiten ins Endliche ge-
zwungen, und so wird auch der ganze ausgeweitete Raumkomplex von einer
viereckigen Umfassung eingefangen, so daß die entstehenden Raumreste und
DER AUSGLEICH IM FRÜHEN BYZANZ
indifferenten Boden. Verschwenderischer Luxus und frommer Glaube, unum-
schränkte Herrschergewalt und die Macht des Volkswillens, die Intrigen
kirchlichen Machtstreites und wahrhafter religiöser Eifer, leere Phrasenhaftigkeit
und tiefe Innerlichkeit gelangten zu einer kaum trennbaren Durchdringung.
Dieser eigentümlichen Vermengung zweier Weltanschauungen entsprach
auch die der Kunstanschauungen. Dem Streben nach dem Großartigen,
Monumentalen unterstellt die Macht die künstlerischen Kräfte aller Zonen. Was
eine natürliche Entwicklung durch die Jahrhunderte vorbereitet hatte, ohne noch
einen allgemeingültigen befriedigenden Ausgleich geschaffen zu haben, das über-
nimmt jetzt die Organisation. War schon früher, wie in der Sarkophagplastik,
ein nach lokalen Schulen gesonderter Werkstättenbetrieb festzustellen, so wurde
dieser nun in den kaiserlichen Werkstätten fabriksmäßig vereinigt. In den
Steinwerkstätten der Prokonnesis wird im Zusammenarbeiten der verschiedenen
provinziellen Elemente der Bauschmuck für den ganzen weiten Umkreis des Reiches
auf Lager und Bestellung geschaffen. Die so entstehenden Typen von Kapitellen
(Tafeln 14, 15), Schrankenplatten (Tafel 26) und Säulen sind als Exportware
in gleicher Weise in Griechenland, in den östlichen Provinzen, in Ägypten,
Italien, an der Dalmatinischen Küste und in Nordafrika zu finden. Justinian
errichtet in Konstantinopel Textilfabriken, der Seidenhandel wird Staatsmonopol.
Und so entstehen auch die großen Bauten dieses Kaisers in und außerhalb der
Hauptstadt als Ergebnisse eines großartigen aber künstlichen Zusammenwirkens
aller verfügbaren Kräfte.
Als eines der Weltwunder entsteht die Sophienkirche in Konstantinopel.
„Ich habe dich übertroffen, o Salomo!" ruft der Kaiser bei der Einweihung
aus, stolz auf die technische Riesenleistung, in der West- und Ostgeist zusammen-
gefügt sind (Tafel 40). Endlos und doch mit dem ersten Blick den Eintretenden
nach allen Seiten und bis zum Scheitel der Kuppel überschaubar erscheint dieser
Raum. Die zentrale Kuppel beherrscht den Baugedanken, gibt eine Mitte, von
der der Raum nach allen Seiten ausstrahlt, in der das Unendliche von allen Seiten
gesammelt wird: Orientalischer Unendlichkeitsgedanke, richtungsloses in sich
Beharren. Und doch: die Säulenfluchten rechts und links unterbinden die freie
Entfaltung des Zentralraumes, zwingen zum Schreiten, geben Ziel und Richtung
im Sinne des Westens. Die unendliche Weite wird an den Seiten ins Endliche ge-
zwungen, und so wird auch der ganze ausgeweitete Raumkomplex von einer
viereckigen Umfassung eingefangen, so daß die entstehenden Raumreste und