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Glück, Heinrich; Cohn, William [Editor]
Die Kunst des Ostens (Band 8): Die christliche Kunst des Ostens — Berlin: Cassirer, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.73316#0061
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MACHTCHRISTENTUM

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Kunst führen konnte. Diese Gebundenheit erstreckte sich nicht nur auf die
Darstellungsgegenstände und Zyklenanordnung, sondern wie bei den Ikonen so
auch in den szenischen Kompositionen auf die einzelnen Gestalten, vornehmlich
die heiligen. Auch da sind die hellenistischen Vorbilder in Gesichtstypen, Falten-
wurf u.dgl. unverkennbar, ja vielfach sind ganze Szenen aus altenVorlagen wieder-
holt. Solche Wiederholungen sind aber weniger als ein bloßes unfruchtbares
Kopistentum zu werten, denn als ein Eklektizismus, der zwar gestaltlich nichts
Neues schafft, in seinen formalen Mitteln aber neue Ausdrucksmöglichkeiten
anstrebt und erreicht. Denn nicht die gestaltlichen Mittel eines differenzierten
Mienenspiels, einer lebhaften Gebärdensprache u. dgl. sind jetzt die Träger, an
denen der Ausdruck abgelesen werden kann, so wie auch keine bloß illustrierenden,
räumlich ausgebauten Schilderungen der Umgebung angestrebt sind. Der Inhalt
des Dargestellten bestimmt die Bildgestaltung nach den Eigenwerten der Linie,
der Hell- und Dunkelwirkung, der Massenkomplexe, die alle je nach dem Thema
zu einer bewegten, feierlichen oder getragenen Melodie in der reinen Fläche
verbunden werden, der sich natürlich alle Illusionskraft und räumliche und ana-
tomischeWirklichkeitsnähe derVorbilder unterwerfen muß. So klingt in Tafel 68a
die sich aufbäumende Kurve des hinstürzenden Heiligen in der ganzen land-
schaftlichen Umgebung wieder, Berg, Fels und die Gewänder der Steinigenden
versinnlichen in ihren zuckenden Linien die Erregung der Figuren besser als die
vom illusionistischen Standpunkte wenig befriedigende Gebärde der Figuren
selbst. So folgen auch die Köpfe in der scheinbaren Verzeichnung und in der
Verschiebung der Gesichter den wesentlichen Ausdrucksrichtungen, ohne eigent-
lich in ihrer Mimik an der Handlung teilzunehmen.
In den Prinzipien ähnlich, doch wie anders je nach der dargestellten Legende
sind die Bilder eines Alexios Komnenos (1081—1118) gewidmeten Kodex:
Wie freudig bewegt das Bild der Verkündigung und Inkarnation (Tafel 70), wie
schlicht und traulich die Begegnungen der beiden Frauen (Tafel 69)! Man fühlt
nicht die Eintönigkeit des allen Figuren gemeinsamen Gesichtstypus mit den
stets seitlich gestellten Augensternen, denn alle Wirkung liegt in dem erregteren
oder ruhigeren Fluß der Linien, in der klaren Verteilung der Massen, die kein
gestaltlicher Hintergrund, ja selbst keine Bodenfläche stört. Noch deutlicher wird
dieses Einbeziehen, ja sogar das Aufgehen des Gestaltlichen in die musikalische
Flächenrhythmik des Ostens in der Darstellung des Sündenfalls in derselben
Handschrift (Tafel 71). Wie in den vorher besprochenen Bildern die menschliche
 
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