VENEDIG UND SIZILIEN
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Erlebnis mehr durch ein überschwängliches aber wenig tiefes und wenig schöpfe-
risches Gebaren sich geltend machte. Freilich bietet das Vielfältige, das hier
zusammentrifft, die mannigfachsten Reize und bildete das unbeirrte Nebenein-
ander und Ineinanderweben der verschiedensten Elemente — mag auch ein inten-
sivererVergärungsprozeß fehlen — eine eigene Note aus, in der zu der Monumen-
talität des christlichen und zu der Abstraktheit des islamischen Ostens auch ein
Teil des in der Gotik erwachenden europäischen Nordens kam.
Das kirchliche Hauptdenkmal Venedigs, die nach dem Vorbild der justini-
anischen Apostelkirche in Konstantinopel erbaute Markuskirche, läßt schon als
Bau diese Züge erkennen (Abb. 8). Gegenüber dem einfachen Äußeren byzan-
tinischer Kirchen ist hier der Prunk aller Jahrhunderte und aller Stile von der
ausgehenden Antike bis zum Barock an der Fassade zur Schau getragen. Schmuck-
stücke, Säulen und Kapitelle aus aller Welt, meist aus den Feldzügen nach dem
Osten zusammengetragen, bilden als Siegestrophäen die äußere Verkleidung
des Gotteshauses (vgl.Tafeln 16,33). Und wie dieses untektonisch islamische Ver-
kleidungsprinzip des Äußeren und die östliche Kuppelanlage und Fassaden-
gestaltung durch gotische Baldachine und Maßwerk aufgelockert ist und die in sich
ruhenden Rundbogen durch die krabbenbesetzten Eselsrücken bewegt werden, so
mischt sich auch in den nach dem Muster der Apostelkirche verteilten Mosaiken-
zyklus im Inneren (Tafeln 82—95) manch neuer Zug, wobei aber das Ganze oft des
Eindrucks gewollter szenischer Schaustellung nicht entbehrt. Dies ist äußerlich
schon daraus zu erkennen, daß die Figuren durch die ihnen in die Hände gegebenen
Spruchbänder gleichsam redend eingeführt sind (Tafel 82 und 83 unten) und wie
auf einer Bühne in ihren Stellungen mehr auf den Beschauer als auf einander
Rücksicht nehmen. Man vergleiche etwa die beiden Darstellungen der Kreuzi-
gung und der Höllenfahrt Christi (Tafel 82 und 83 oben) mit den entsprechenden
in Daphni (Tafeln 75, 76b). Die Szene der Kreuzigung ist hier nicht nur reicher
ausgebaut und die Handlung auf eine größere Figurenzahl verteilt, sondern die
Nebenfiguren werden auch in einer gegenüber der Mittelszene fast zu starken Teil-
nahme geschildert. Dadurch wird das Interesse von dem Kern der eigentlichen
Handlung abgezogen. Die drei Hauptfiguren entbehren zwar auch nicht einer
gewissen Verinnerlichung,im Vergleich mitDaphni merkt man aber,daß dieser Aus-
druck bloß gemimterAusdruck, die Gebärden aber(wie besonders beim Johannes)
Posen geworden sind. Ähnlich in der Höllenfahrt eine aufdringliche Aktion
der Nebenfiguren bei aufgelösterer Szene und gegenüber den innigeren
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Erlebnis mehr durch ein überschwängliches aber wenig tiefes und wenig schöpfe-
risches Gebaren sich geltend machte. Freilich bietet das Vielfältige, das hier
zusammentrifft, die mannigfachsten Reize und bildete das unbeirrte Nebenein-
ander und Ineinanderweben der verschiedensten Elemente — mag auch ein inten-
sivererVergärungsprozeß fehlen — eine eigene Note aus, in der zu der Monumen-
talität des christlichen und zu der Abstraktheit des islamischen Ostens auch ein
Teil des in der Gotik erwachenden europäischen Nordens kam.
Das kirchliche Hauptdenkmal Venedigs, die nach dem Vorbild der justini-
anischen Apostelkirche in Konstantinopel erbaute Markuskirche, läßt schon als
Bau diese Züge erkennen (Abb. 8). Gegenüber dem einfachen Äußeren byzan-
tinischer Kirchen ist hier der Prunk aller Jahrhunderte und aller Stile von der
ausgehenden Antike bis zum Barock an der Fassade zur Schau getragen. Schmuck-
stücke, Säulen und Kapitelle aus aller Welt, meist aus den Feldzügen nach dem
Osten zusammengetragen, bilden als Siegestrophäen die äußere Verkleidung
des Gotteshauses (vgl.Tafeln 16,33). Und wie dieses untektonisch islamische Ver-
kleidungsprinzip des Äußeren und die östliche Kuppelanlage und Fassaden-
gestaltung durch gotische Baldachine und Maßwerk aufgelockert ist und die in sich
ruhenden Rundbogen durch die krabbenbesetzten Eselsrücken bewegt werden, so
mischt sich auch in den nach dem Muster der Apostelkirche verteilten Mosaiken-
zyklus im Inneren (Tafeln 82—95) manch neuer Zug, wobei aber das Ganze oft des
Eindrucks gewollter szenischer Schaustellung nicht entbehrt. Dies ist äußerlich
schon daraus zu erkennen, daß die Figuren durch die ihnen in die Hände gegebenen
Spruchbänder gleichsam redend eingeführt sind (Tafel 82 und 83 unten) und wie
auf einer Bühne in ihren Stellungen mehr auf den Beschauer als auf einander
Rücksicht nehmen. Man vergleiche etwa die beiden Darstellungen der Kreuzi-
gung und der Höllenfahrt Christi (Tafel 82 und 83 oben) mit den entsprechenden
in Daphni (Tafeln 75, 76b). Die Szene der Kreuzigung ist hier nicht nur reicher
ausgebaut und die Handlung auf eine größere Figurenzahl verteilt, sondern die
Nebenfiguren werden auch in einer gegenüber der Mittelszene fast zu starken Teil-
nahme geschildert. Dadurch wird das Interesse von dem Kern der eigentlichen
Handlung abgezogen. Die drei Hauptfiguren entbehren zwar auch nicht einer
gewissen Verinnerlichung,im Vergleich mitDaphni merkt man aber,daß dieser Aus-
druck bloß gemimterAusdruck, die Gebärden aber(wie besonders beim Johannes)
Posen geworden sind. Ähnlich in der Höllenfahrt eine aufdringliche Aktion
der Nebenfiguren bei aufgelösterer Szene und gegenüber den innigeren