VENEDIG UND SIZILIEN
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Wie auf den Osten, so greift die eklektizistische Auslese auch auf den abend-
ländischen Westen über und holt sich von dort die nach höfischer Zeitmode
gekleidete Gestalt einer Salome (Tafel 93) und manches von den westlichen Kunst-
mitteln. Nur in den Kirchenlehrern der Kuppelzwickel ist diese Kunst ihrer
monumentalenAufgabe ganz gerecht geworden (Tafeln 94, 95). Scharfe Charakte-
ristik und einfühlender Linienrhythmus gepaart mit dem großzügig dekorativen
Empfinden der Gewandmusterung verrät hier die Hand eines jener östlichen
Meister, deren Schulen auf italienischem Boden für die Folgezeit der „Renais-
sance" so bestimmend wurde.
Wie Venedig, so war auch Sizilien unter der normannischen Herrschaft ein
Sammelpunkt der verschiedensten Kulturströme. Der Glanz und die Kirchlich-
keit des byzantinischen Hofes, der Luxus und die Gelehrsamkeit der voran-
gegangenen arabischen Herrschaft und das erwachende Persönlichkeitsgefühl
des Nordens wurden hier vereinigt. Byzanz, Islam und Gotik gaben die künst-
lerischen Mittel, die aber trotz ihres Zusammenwirkens ihre Selbständigkeit
ziemlich rein bewahrten, vor allem aber gegenüber Venedig nicht in eklekti-
zistische Trockenheit und erlebnislose Problematik verfielen. Die künstlerischen
Elemente sind an ein- und demselben Werke klar zu trennen, und doch ist jedem
seine Wirkung im ganzen zugeteilt. Schon in dieser organisierten Zuteilung
der verschiedenen, in ihrer Eigenart belassenen Faktoren ist ein Prinzip isla-
mischer Ostkunst erkennbar. Östlich ist auch die an islamische Moscheen er-
innernde Raumweite der Kirchengebäude (Tafeln 98, 106) und die unbekümmerte
Neuverwendung antiker Säulen und Kapitelle, die materialgerechte Flächenhaftig-
keit, die untektonische Lösung der Kuppelüberführung (Tafel 98) und der in isla-
mischen Mustern gebildete Belag der unteren Wände und des Bodens (Tafeln 98,
106), dessen bunte Muster bis nach Süd- und Mittelitalien hinauf ihren Reichtum
entsendeten (Tafel 96). Daneben aber steht das spitzbogige Hochstreben der
Gotik und die Durchbrechung derWand durch Maßwerk (Tafel 106), in den Ober-
wänden und den Wölbungen aber siegt die Goldfläche und die monumentale
Gestaltenwelt des byzantinischen Mosaiks (Tafeln 98—107).
In der Capella Palatina (1132—1143), in der Matorana (1143) zu Palermo,
in Cefalü (1148) und in Monreale (1172) steht die orthodoxe Mosaikkunst
wieder in fast völliger Reinheit vor uns, so daß die direkte Ausführung durch
byzantinische Mosaizisten offenkundig ist. Wenn auch einzelne Züge westliche
Überlieferung, und die Nähe des islamischen Machtbereiches erkennen lassen,
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Wie auf den Osten, so greift die eklektizistische Auslese auch auf den abend-
ländischen Westen über und holt sich von dort die nach höfischer Zeitmode
gekleidete Gestalt einer Salome (Tafel 93) und manches von den westlichen Kunst-
mitteln. Nur in den Kirchenlehrern der Kuppelzwickel ist diese Kunst ihrer
monumentalenAufgabe ganz gerecht geworden (Tafeln 94, 95). Scharfe Charakte-
ristik und einfühlender Linienrhythmus gepaart mit dem großzügig dekorativen
Empfinden der Gewandmusterung verrät hier die Hand eines jener östlichen
Meister, deren Schulen auf italienischem Boden für die Folgezeit der „Renais-
sance" so bestimmend wurde.
Wie Venedig, so war auch Sizilien unter der normannischen Herrschaft ein
Sammelpunkt der verschiedensten Kulturströme. Der Glanz und die Kirchlich-
keit des byzantinischen Hofes, der Luxus und die Gelehrsamkeit der voran-
gegangenen arabischen Herrschaft und das erwachende Persönlichkeitsgefühl
des Nordens wurden hier vereinigt. Byzanz, Islam und Gotik gaben die künst-
lerischen Mittel, die aber trotz ihres Zusammenwirkens ihre Selbständigkeit
ziemlich rein bewahrten, vor allem aber gegenüber Venedig nicht in eklekti-
zistische Trockenheit und erlebnislose Problematik verfielen. Die künstlerischen
Elemente sind an ein- und demselben Werke klar zu trennen, und doch ist jedem
seine Wirkung im ganzen zugeteilt. Schon in dieser organisierten Zuteilung
der verschiedenen, in ihrer Eigenart belassenen Faktoren ist ein Prinzip isla-
mischer Ostkunst erkennbar. Östlich ist auch die an islamische Moscheen er-
innernde Raumweite der Kirchengebäude (Tafeln 98, 106) und die unbekümmerte
Neuverwendung antiker Säulen und Kapitelle, die materialgerechte Flächenhaftig-
keit, die untektonische Lösung der Kuppelüberführung (Tafel 98) und der in isla-
mischen Mustern gebildete Belag der unteren Wände und des Bodens (Tafeln 98,
106), dessen bunte Muster bis nach Süd- und Mittelitalien hinauf ihren Reichtum
entsendeten (Tafel 96). Daneben aber steht das spitzbogige Hochstreben der
Gotik und die Durchbrechung derWand durch Maßwerk (Tafel 106), in den Ober-
wänden und den Wölbungen aber siegt die Goldfläche und die monumentale
Gestaltenwelt des byzantinischen Mosaiks (Tafeln 98—107).
In der Capella Palatina (1132—1143), in der Matorana (1143) zu Palermo,
in Cefalü (1148) und in Monreale (1172) steht die orthodoxe Mosaikkunst
wieder in fast völliger Reinheit vor uns, so daß die direkte Ausführung durch
byzantinische Mosaizisten offenkundig ist. Wenn auch einzelne Züge westliche
Überlieferung, und die Nähe des islamischen Machtbereiches erkennen lassen,