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Glück, Heinrich; Cohn, William [Editor]
Die Kunst des Ostens (Band 8): Die christliche Kunst des Ostens — Berlin: Cassirer, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.73316#0080
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OSTEUROPA

Edelsteineinlage reichste Verwendung fand und weit ins Abendland verbreitet
war. Als rahmende Streifen oder größere Bildfelder füllend, auf Goldblechen
in wucherndes, getriebenes Rankenwerk eingesetzt (Tafel 124) oder als kleine
Medaillons verteilt (Tafel 125), dient es zum figürlichen und in überaus zier-
licher Kleinarbeit gehaltenen ornamentalen Schmuck von Buchdeckeln, Ante-
pendien (Altarverkleidungen), Ikonenschreinen (Tafel 124) oder ganzen in
Gebäudeform aufgeführten Reliquiaren (Tafel 126). Mit seiner in einzelne
vertiefte Flächenpartien aufteilenden Technik kommt es als „Gruben"email
nicht nur dem klaren Farbsinn, sondern auch dem die Naturgestalt in ihre
Wesensbestandteile zerlegenden Formempfinden in höchstem Maße entgegen
und läßt die Anpassung an die Forderungen des Materials nur um so offenbarer
werden. In gleichem Maße fordert es aber auch das lineare Empfinden heraus, inso-
fern die auf den Grund aufgesetzten metallenen Trennungsstege (Tafel 126 oben)
ein rhythmisches Gerüst bilden, das oft mit der farbigen Flächenfüllung in seiner
Wirkung konkurriert („Zellen"email). Und damit hängen wieder aufs innigste
die Metalltechniken an sich zusammen, sei es die Treib- (Tafeln 123, 132) und
Durchbruchsarbeit, oder die durch Drahtwindungen hergestellte Filigrantechnik
(Tafel 131a), und die durch aufgelötete Kügelchen erzielte Granulierung
(Tafeln 124 —126). Technik ist hier nicht das notwendige Übel, über dem erst
die Kunst beginnt, ist selbst kunstschaffender Faktor, aus volkstümlichem
Schaffensdrange entsprungen. Wie in der formalen Führung eines Rankenge-
schlinges trotz scheinbarer Gesamtsymmetrie die Einzelmotive alle Zufällig-
keiten des augenblicklichen Einfalls tragen, so erhält die Arbeit selbst ihren
besonderen Reiz dadurch, daß sie bei aller Unterordnung unter die leitende Idee
eines Gesamtentwurfes doch immer wieder die Zufälligkeiten, die das Material der
formenden Hand bietet, individuell ausnützt. So bekommen dieseWerke vielfach
den Anschein des Improvisierten, bei dem sich das wirksame Detail erst aus der
Arbeit ergibt, bekommen den Charakter undWert volkskünstlerischer Leistungen,
in denen die Arbeit nicht zur stumpfen Ausführung eines genau gegebenen Ent-
wurfes herabgesetzt, sondern selbst schöpferisch ist (Tafel 127). UralteVorstellun-
gen, kirchlich ausgedeutet, erhalten so erneute Gestaltung und Kraft (Tafel 132).
Nicht in den äußeren flüchtigen Schein des Augeneindrucks wird die reine Idee um-
gesetzt, aus der realen werklichen Grundlage wird sie in beständigem Kampfe neu
geformt, nicht ein Abbild der gegenwärtigen Natur wird für ein Heiliges gesetzt,
sondern aus der realen aber formlosen Materie wird eine neue Schöpfung gestaltet.
 
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