OSTEUROPA
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So ist es im Metall, so ist es im Holz (Tafel 131 b), beides Materialien, in
denen sich nördlicherVolksgeist seit alters und bis heute erging. Daneben steht als
ein drittes großes volkstümliches Kunstgebiet die Textilkunst. Auch sie ist, vor
allem im Wege der Klöster, in die kirchliche Kunst eingedrungen und hat als
Bunt- und Goldstickerei den volkstümlichen Farbensinn und handwerkliche
Materialfreude in verfeinerte Nadelmalerei umgesetzt (Tafeln 128, 129). An dem
Unterschied der linear zeichnerischen Durchbildung der Nacktteile gegenüber der
dekorativen Flächenhaftigkeit der Gewänder wird wieder das Zusammentreffen
der kirchlichen Machtkunst mit dem Bodenständigen, aber auch deren Ineinander-
dringen deutlich. Denn einerseits wiid das Ikonenhafte der Gesichter von
einem oft derb drastischen Ausdruck durchsetzt, anderseits aber das Handwerk-
liche durch verschiedene Strichlagen, plastische Goldstickerei, Applikationen
u. dgl. zur raffinierten Technik. Ins pompös Repräsentative wird diese Kloster-
kunst übergeführt, wo auch die weltliche Macht, etwa in Gestalt des Stifters
eingreift (Tafel 130a und b). Hier werden die volkstümlichen Elemente mehr und
mehr durch die der großen Weltstile, wie des Persisch-Türkischen oder des
europäischen Barocks ersetzt. Gleichwohl bleibt auch da eine gewisse Volks-
tümlichkeit in der raumlosen dekorativen Anordnung und Durchführung des
Beiwerks bestehen.
Wie die Klöster selbst, so bedeuten also auch ihre Schätze eine Überlagerung
mit fremdem Kunstgute, unter der aber immer wieder, die fremden Schichten
durchsetzend, bodenständiger Volkgeist zum Durchbruch kommt. Fast könnte
man sagen, daß ein neues Urchristentum in diesen kräftigen Gebieten entsteht,
das sich aber nicht wie in frühchristlicher Zeit erst in zähem Kampfe die Kunst-
formen fremdgläubiger Kulturen erringen mußte, sondern die fertigen Gefäße
einer kirchlichen Kunst vorgesetzt bekam, die es nun bloß mit dem eigenen
Inhalt zu erfüllen brauchte. So erfuhr das Christentum immer wieder eine neue
Verjüngung, sobald es neuen Volksboden betrat, seiner Kunst floß immer wieder
neue Nahrung zu, so daß sie immer wieder in einem neuen Geiste wiedergeboren
wurde. Und doch blieb ein beständiges, das das Religiöse an sich beinhaltet:
Die Unterordnung des Individuums. Darin hatte das Christentum im Westen
die schwersten Kämpfe zu bestehen, und darin liegt auch zumeist das Fremd-
artige, das uns persönlichkeitsstolzen Europäern in der hier vorgeführten
christlichen Kunst des Ostens entgegentritt. IhrWert kann nur aus ihren eigenen
Voraussetzungen erkannt, ihre Kraft nur in religiöser Hingebung erlebt werden.
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So ist es im Metall, so ist es im Holz (Tafel 131 b), beides Materialien, in
denen sich nördlicherVolksgeist seit alters und bis heute erging. Daneben steht als
ein drittes großes volkstümliches Kunstgebiet die Textilkunst. Auch sie ist, vor
allem im Wege der Klöster, in die kirchliche Kunst eingedrungen und hat als
Bunt- und Goldstickerei den volkstümlichen Farbensinn und handwerkliche
Materialfreude in verfeinerte Nadelmalerei umgesetzt (Tafeln 128, 129). An dem
Unterschied der linear zeichnerischen Durchbildung der Nacktteile gegenüber der
dekorativen Flächenhaftigkeit der Gewänder wird wieder das Zusammentreffen
der kirchlichen Machtkunst mit dem Bodenständigen, aber auch deren Ineinander-
dringen deutlich. Denn einerseits wiid das Ikonenhafte der Gesichter von
einem oft derb drastischen Ausdruck durchsetzt, anderseits aber das Handwerk-
liche durch verschiedene Strichlagen, plastische Goldstickerei, Applikationen
u. dgl. zur raffinierten Technik. Ins pompös Repräsentative wird diese Kloster-
kunst übergeführt, wo auch die weltliche Macht, etwa in Gestalt des Stifters
eingreift (Tafel 130a und b). Hier werden die volkstümlichen Elemente mehr und
mehr durch die der großen Weltstile, wie des Persisch-Türkischen oder des
europäischen Barocks ersetzt. Gleichwohl bleibt auch da eine gewisse Volks-
tümlichkeit in der raumlosen dekorativen Anordnung und Durchführung des
Beiwerks bestehen.
Wie die Klöster selbst, so bedeuten also auch ihre Schätze eine Überlagerung
mit fremdem Kunstgute, unter der aber immer wieder, die fremden Schichten
durchsetzend, bodenständiger Volkgeist zum Durchbruch kommt. Fast könnte
man sagen, daß ein neues Urchristentum in diesen kräftigen Gebieten entsteht,
das sich aber nicht wie in frühchristlicher Zeit erst in zähem Kampfe die Kunst-
formen fremdgläubiger Kulturen erringen mußte, sondern die fertigen Gefäße
einer kirchlichen Kunst vorgesetzt bekam, die es nun bloß mit dem eigenen
Inhalt zu erfüllen brauchte. So erfuhr das Christentum immer wieder eine neue
Verjüngung, sobald es neuen Volksboden betrat, seiner Kunst floß immer wieder
neue Nahrung zu, so daß sie immer wieder in einem neuen Geiste wiedergeboren
wurde. Und doch blieb ein beständiges, das das Religiöse an sich beinhaltet:
Die Unterordnung des Individuums. Darin hatte das Christentum im Westen
die schwersten Kämpfe zu bestehen, und darin liegt auch zumeist das Fremd-
artige, das uns persönlichkeitsstolzen Europäern in der hier vorgeführten
christlichen Kunst des Ostens entgegentritt. IhrWert kann nur aus ihren eigenen
Voraussetzungen erkannt, ihre Kraft nur in religiöser Hingebung erlebt werden.