Deutung
es handelt sich zunächst lediglich um die im 13., 14. und 15. Jahrhundert häufig vor-
kommende Streifung. Der Untergrund ist blau mit senkrechten roten Streifen; ein
fertiges Stück Seidenzeug ist mit Gold gedeckt. Auch bei Bildteppichen finden wir
die Methode. Zu den schönsten Stücken dieser Art gehören die Tournaiser Fragmente
mit den Szenen aus dem Rosenroman im Pariser Louvre und im New-Yorker Metro-
politanmuseum (8). Der Belag des Erecliedes ist wahrscheinlich ein (geknüpfter?)
Wappenteppich, der das Bild eines Leoparden auf farbig gestreiftem Grunde zeigt;
wir finden die gleiche Gattung in der Miniatur Foucquets, die den Gerichtssaal Lud-
wigs XI. von Frankreich mit verschiedenfarbig gemusterten Teppichen ausstaffiert.
Die Blütezeit des französischen „chanson de geste" ist mit dem Beginne des 13. Jahr-
hunderts bereits dahin; die Degeneration setzt ein, aus dem Epos wird der typische
Abenteurerroman. Der Niedergang vollzieht sich verhältnismäßig langsam. Nordfrank-
reich hält am längsten an den alten Gesängen fest; in Burgund erleben wir eine Art
Nachblüte. Das Streben, den dem Ohr unangenehm gewordenen vokalischen Gleich-
klang endloser Reime zu vermeiden, führt zu dem zehnsilbigen Alexandriner, um in
der Spätzeit in dem Prosaroman zu enden. Die alten Gesänge werden entreimt und
mit mehr oder weniger glücklichen Zusätzen in erzählende Form gebracht. Die
Romane der Tafelrunde beginnen den Reigen, andere „chansons" folgen. Für Gescheh-
nisse der eigenen Zeit wird seltsamerweise zumeist die gebundene Form gewählt, wie
bei dem „Combat des Trente" der „Prise d'Alexandrie", dem „Bertrand du Guesclin",
dem „Geste de Liege", der „Chronique rimöe des troubles de la Flandre" und anderen
mehr.
Die Prosaübertragung der alten Heldenlieder setzt in Burgund um 1230 ein, sie
bleibt in den darauffolgenden zwei Jahrhunderten ein beliebtes Feld unfruchtbarer
Literaten. Dem Geschmacke der Zeit entsprechend wird der in der Regel nicht allzu
verwickelte Gedankengang des alten Sagenkreises durch übertriebene Abenteuer be-
reichert und verwischt; man wirft auch unbedenklich Figuren aus dem Zyklus Karls
des Großen mit Gestalten aus der Tafelrunde zusammen oder verquickt die Graals-
erzählung mit der Geschichte der sieben Weisen von Rom.
Ein großer Teil der frühen Teppiche von Arras, Paris und Tournai ist in Anlehnung
an derartige Prosaromane entstanden.
Es ist naturgemäß schwierig, an Hand der alten Inventare, die die wesentlichste
Quelle darstellen, einen nur halbwegs brauchbaren Leitfaden zu schaffen; der Verlust
weitaus der meisten Wirkereien macht eine Kontrolle fast unmöglich. Ich benutze
als Vergleichsmaterial vornehmlich die Inventare der Herzöge von Burgund, Karls V.
und Karls VI. von Frankreich, die Verzeichnisse des Hauses Savoyen, des Grafen von
Beaufort, Ludwigs I. von Anjou und verschiedene Schloß- und Rircheninventare des
14. und 15. Jahrhunderts.
Verhältnismäßig häufig sind Wirkteppiche, die auf den Karolingischen Sagenkreis
Bezug nehmen. Die allgemein gehaltene Angabe „istoire du roy Charlemaine (Charle-
mainet)" besagt wenig, deutlicher spricht schon ein Beleg vom 23. X. 1387. Der
Pariser Händler Jehan Lubin liefert die Geschichte Kaiser Karls „comme il ala en
Jherusalem et conquesta grant quantite de pai's". Die Folge bringt Episoden aus der
wenig delikaten Dichtung der angeblichen Reise Kaiser Karls nach Jerusalem und
Konstantinopel, die im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts in Anlehnung an das latei-
nische „Iter Jerosolmitanum" des Pseudo-Turpin entstand und u. a. dem Karlsfenster
der Kathedrale zu Chartres (um 1200) als Leitfaden diente.
Eine Reimdichtung des 12. Jahrhunderts, oder eine spätere Prosabearbeitung, benutzt
die Folge des «Guy de Bourgoingne" (1387 von Dourdin geliefert), welche die Krö-
nung des jungen Helden, eines Neffen des alternden Kaisers, und seine Taten in Spanien
im Kampfe gegen die Sarazenen schildert. Die gleichfalls Dourdinsche Folge des
Girart entnimmt den Stoff dem Girart de Viane von Bertrans di Bair sor Aube. Die
Handlung bringt Geschehnisse, die zum Teile dem Zyklus Kaiser Karls, zum Teile dem
Geste de Garin de Montglane angehören.
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es handelt sich zunächst lediglich um die im 13., 14. und 15. Jahrhundert häufig vor-
kommende Streifung. Der Untergrund ist blau mit senkrechten roten Streifen; ein
fertiges Stück Seidenzeug ist mit Gold gedeckt. Auch bei Bildteppichen finden wir
die Methode. Zu den schönsten Stücken dieser Art gehören die Tournaiser Fragmente
mit den Szenen aus dem Rosenroman im Pariser Louvre und im New-Yorker Metro-
politanmuseum (8). Der Belag des Erecliedes ist wahrscheinlich ein (geknüpfter?)
Wappenteppich, der das Bild eines Leoparden auf farbig gestreiftem Grunde zeigt;
wir finden die gleiche Gattung in der Miniatur Foucquets, die den Gerichtssaal Lud-
wigs XI. von Frankreich mit verschiedenfarbig gemusterten Teppichen ausstaffiert.
Die Blütezeit des französischen „chanson de geste" ist mit dem Beginne des 13. Jahr-
hunderts bereits dahin; die Degeneration setzt ein, aus dem Epos wird der typische
Abenteurerroman. Der Niedergang vollzieht sich verhältnismäßig langsam. Nordfrank-
reich hält am längsten an den alten Gesängen fest; in Burgund erleben wir eine Art
Nachblüte. Das Streben, den dem Ohr unangenehm gewordenen vokalischen Gleich-
klang endloser Reime zu vermeiden, führt zu dem zehnsilbigen Alexandriner, um in
der Spätzeit in dem Prosaroman zu enden. Die alten Gesänge werden entreimt und
mit mehr oder weniger glücklichen Zusätzen in erzählende Form gebracht. Die
Romane der Tafelrunde beginnen den Reigen, andere „chansons" folgen. Für Gescheh-
nisse der eigenen Zeit wird seltsamerweise zumeist die gebundene Form gewählt, wie
bei dem „Combat des Trente" der „Prise d'Alexandrie", dem „Bertrand du Guesclin",
dem „Geste de Liege", der „Chronique rimöe des troubles de la Flandre" und anderen
mehr.
Die Prosaübertragung der alten Heldenlieder setzt in Burgund um 1230 ein, sie
bleibt in den darauffolgenden zwei Jahrhunderten ein beliebtes Feld unfruchtbarer
Literaten. Dem Geschmacke der Zeit entsprechend wird der in der Regel nicht allzu
verwickelte Gedankengang des alten Sagenkreises durch übertriebene Abenteuer be-
reichert und verwischt; man wirft auch unbedenklich Figuren aus dem Zyklus Karls
des Großen mit Gestalten aus der Tafelrunde zusammen oder verquickt die Graals-
erzählung mit der Geschichte der sieben Weisen von Rom.
Ein großer Teil der frühen Teppiche von Arras, Paris und Tournai ist in Anlehnung
an derartige Prosaromane entstanden.
Es ist naturgemäß schwierig, an Hand der alten Inventare, die die wesentlichste
Quelle darstellen, einen nur halbwegs brauchbaren Leitfaden zu schaffen; der Verlust
weitaus der meisten Wirkereien macht eine Kontrolle fast unmöglich. Ich benutze
als Vergleichsmaterial vornehmlich die Inventare der Herzöge von Burgund, Karls V.
und Karls VI. von Frankreich, die Verzeichnisse des Hauses Savoyen, des Grafen von
Beaufort, Ludwigs I. von Anjou und verschiedene Schloß- und Rircheninventare des
14. und 15. Jahrhunderts.
Verhältnismäßig häufig sind Wirkteppiche, die auf den Karolingischen Sagenkreis
Bezug nehmen. Die allgemein gehaltene Angabe „istoire du roy Charlemaine (Charle-
mainet)" besagt wenig, deutlicher spricht schon ein Beleg vom 23. X. 1387. Der
Pariser Händler Jehan Lubin liefert die Geschichte Kaiser Karls „comme il ala en
Jherusalem et conquesta grant quantite de pai's". Die Folge bringt Episoden aus der
wenig delikaten Dichtung der angeblichen Reise Kaiser Karls nach Jerusalem und
Konstantinopel, die im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts in Anlehnung an das latei-
nische „Iter Jerosolmitanum" des Pseudo-Turpin entstand und u. a. dem Karlsfenster
der Kathedrale zu Chartres (um 1200) als Leitfaden diente.
Eine Reimdichtung des 12. Jahrhunderts, oder eine spätere Prosabearbeitung, benutzt
die Folge des «Guy de Bourgoingne" (1387 von Dourdin geliefert), welche die Krö-
nung des jungen Helden, eines Neffen des alternden Kaisers, und seine Taten in Spanien
im Kampfe gegen die Sarazenen schildert. Die gleichfalls Dourdinsche Folge des
Girart entnimmt den Stoff dem Girart de Viane von Bertrans di Bair sor Aube. Die
Handlung bringt Geschehnisse, die zum Teile dem Zyklus Kaiser Karls, zum Teile dem
Geste de Garin de Montglane angehören.
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