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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0278
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Tours. Touraine. Grenzgebiete

Tours und die Touraine. Die nordfranzösischen
Grenzgebiete. Die Beziehungen zu Tournai.

Die Niederlage des französichen [Heeres bei Azincourt (25. Oktober 1415) und die
Besetzung von Paris, die den Norden Frankreichs England und dem ihm verbündeten
Burgund ausliefert, zwingt Karl VII. zum Rückzüge südlich der Loire. Die Er-
hebung unter Führung der Jeanne d'Arc rettet das von den Engländern belagerte
Orleans (1429) und führt den jungen König zur Krönung nach Reims. Philipp von
Burgund schließt, gegen Zusicherung weitgehender Vorteile, mit seinem Lehnsherrn
1435 den Frieden zu Arras; schon im darauffolgenden Jahre fallt Paris von dem
Landesfeinde ab, das letzte englische Heer wird unter Talbot am 17. Juli 1453 ver-
nichtend geschlagen; das Haus Valois beherrscht mit Ausnahme von Calais und
Guines den geheiligten Boden Frankreichs. Die Rolle von Paris als Residenz der
Könige ist auch nach Vertreibung des Erbfeindes auf mehr denn ein Jahrhundert aus-
gespielt; Ludwig XI. (1461—1483) residiert in Tours, Karl VIII. (1483—1498) in Am-
boise, Ludwig XII. (1498—1515) in Blois, Franz I. aus dem Hause Angouleme
(1515—1547) in Fontainebleau; erst Heinrich II. schenkt der einst allzu hochfahrenden
und unzuverlässigen Bürgerschaft wiederum sein Vertrauen.

Die urkundlichen Nachrichten über die Ateliers von Tours und der sonstigen klei-
neren Zentralen an den Ufern der Loire fließen im 15. Säkulum nur schwach.

Immerhin haben sich bei dem Ausbau des Schlosses Amboise wenigstens einige
auf Tours bezügliche Belege erhalten (1). Das vor dem phantastischen Zuge Karls VIII.
nach Italien aufgestellte Schloßinventar datiert vom 1. Oktober 1493. Leider fehlt
bei einigen der aufgeführten Lieferanten die Angabe des Wohnortes. Der Name des
Kaufmanns «Jehan de Guystelle", der von dem König den Betrag von 262 livres
10 sols für ein golddurchwirktes Antependium mit der Geschichte der Madonna er-
hält, läßt eher auf einen italienischen Händler, der vielleicht in Brügge oder in Paris
ansässig war, schließen.

Charakteristisch für die Folgen des Schlosses Amboise ist die Tatsache, daß die
„menue verdure", d. h. der Teppich mit aufgestreuten Blumen, besonders stark ver-
treten ist. Der Quadratellenpreis von 75 Sols läßt auf feinere Arbeit schließen,
die gleichartigen zeitgenössischen Pariser Behänge stellten sich in der Regel erheb-
lich wohlfeiler. Von Bedeutung ist ferner die „chambre de verdure de fine
estoffe ä petix hommes sauvaiges, contenant neuf pieces et trois goutieres, montant en
tout deux cens soixante seize aulnes et demye de Flandre, au feur de XXVS t. laulne",
die „Estienne Bodineau, marchant drappier suyvant la cour", dem Könige liefert.
Meister Estienne ist kein Wirker, sondern lediglich Händler, der den „tappiz veluz
de Turquie" und den «tappis veluz damasquins" ein nicht minder großes Interesse
zuwendet. Der Herkunftsort Bodineau's wird nicht genannt. Stammt der Lieferant
aus Tournai? Ist der Typ des Gartenteppichs — er wird klar geschieden von der
«menue verdure" — ein Tournaiser oder ein Tourainer Erzeugnis? Es fällt schwer
ins Gewicht, daß die Lehrmeisterin Tournai gerade in den achtziger Jahren des
15. Jahrhunderts auf der Höhe des Könnens stand, daß der französische Hof durch
die intimen Beziehungen (1481) des Tournaiser Großwirkers Pasquier Grenier mit
Olivier le Daim, dem Günstling Ludwig XI., ein Hauptabnehmer der Erzeugnisse der
zeitweise französischen Bischofstadt war (2). Bodineau verkauft dem König ferner
eine zweite „chambre de verdure ä erse sur champ jaune, contenant unze pieces
comprises goutieres et carreaulx, montant troys cens treize aulnes et demye, au dit
feur de XXV8 t ... III c HIIXS XVII9 VId t, d. h. es handelte sich um ein voll-
ständiges Wirkereizimmer, einschließlich der gewirkten Bettbehänge und der kleineren

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