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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0376
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Nancy

Ehemaliges Herzogtum Lothringen.

Nancy. La Malgran ge.

Die ersten Atifänge der lothringischen Bildwirkerei fallen in die Regierungszeit
Karls III. (f 14. Mai 1608), des Sohnes Franz I. (1544—45) und Christinens von Däne-
mark (f 1590). Die kurze Erörterung der Genealogie des Hauses ist insofern von
Belang, als die einzige uns erhaltene Lothringer Folge von überragender Bedeutung, die
Geschichte des Moses, in den Bordüren die Wappen des Elternpaares Karls III. und
seiner Gattin Claude (f 20. Februar 1575), der Tochter Heinrichs II. von Frankreich,
tragen.

In der Rechnungslegung des „Trösorier g6n6ral" vom Jahre 1565/66 finden wir
Frantz „tapissier de son Alteze"; er bezieht den Betrag von 25 Francs „pour reste
de la fourniture qu'il a faicte en la tapisserie de l'Histoire de Moyse" (1). Die Inven-
taraufstellung vom 17. Mai 1575—22. Januar 1606 verzeichnet unter No. 73 die fertig-
gestellte Mosesfolge. Emile Molinier (2) folgert aus der Anwesenheit des väterlichen
Wappenschildes, daß die Reihe bereits 1544 begonnen worden ist. Die Annahme ist
wenig wahrscheinlich. Viel näher liegt der Gedanke, die Anregung der Mutter des
Herzogs, Christine, zuzuschreiben, die das Wappen ihres Gemahls pietätvoll den Be-
hängen einfügen ließ. Daß die Damen aus dem Hause Dänemark mit der Technik
der ßildwirkerei recht genau Bescheid wußten und ihr ein reges Interesse entgegen-
brachten, beweist zur Genüge der Schriftwechsel (1563) der Kurfürstin Anna von
»Sachsen mit ihrer Mutter, der Königin Dorothea, der sich sachkundig und ausführlich
über das Wesen der Basselissetechnik verbreitet (3). Die Mosesfolge spielt des öfteren
eine gewichtige Rolle an Tagen hoher Repräsentation, u. a. auch bei den Beisetzungs-
feierlichkeiten Karls III. Infolge der Vermählung des letzten lothringischen Herzogs
Franz Stephan mit der Kaiser in Maria Theresia gelangen die Teppiche in den Besitz der
österreichischen Krone.

Die golddurchwirkte Folge zählt gegenwärtig neun Behänge (Abb. 347): der Erz-
vater vor dem brennenden Dornbusch, Moses weist das Volk an, die silbernen und
goldenen Gefäße zu bergen, der Durchzug durchs rote Meer, Moses und seine Ge-
treuen lobpreisen den Herrn, die Mannalese, Moses schlägt Wasser aus dem Felsen,
die Anbetung des goldenen Kalbes, Moses empfängt auf dem Berge Sinai die Gesetzes-
tafeln, Moses errichtet die eherne Schlange (4).

Die Technik verrät unzweideutig einen Brüsseler Wirker ersten Ranges, der Ent-
wurf läßt auf einen Meister des späteren Orleyateliers schließen. Die Kartons sind
sicher nicht in Nancy entstanden. Die Tatsache, daß das Museum von Chartres fünf
Teppiche der gleichen Folge besitzt — die Bordüre ist geändert —, die die Brüs-
seler Marke tragen, gibt zum mindesten zu Zweifeln Anlaß. Eine dritte Teilwieder-
holung — Mannalese in einer Putten-Rankenbordüre —, wiederum Brüsseler Her-
kunft, fand sich in der ehemaligen Sammlung de Somzee (5). Die Bordürenlösung
der Wiener Serie verrät starke Anklänge an die von Pieter van Aelst gewirkten
„Taten der Apostel" im Vatikan; die Tatsache legt die Vermutung nahe, an ein Ate-
lier zu denken, das mit dem Größmeister' altbrabantischer Wirkerkunst in enger Ver-
bindung stand. Suchen wir Anschluß an eine bezeichnete Brüsseler Folge, so fällt
uns in erster Linie die „Geschichte des Paradieses" in der bayrischen Staatssammlung
ins Auge. Die Fassung ist — abgesehen von den immer vorkommenden kleinen Va-
riationen — genau die gleiche; selbst die Schilder in den beiden oberen Ecken, aller-
dings ohne Hoheitszeichen, fehlen nicht (Abb. 280, Teil I). Geändert ist lediglich die
Fassung der Schrifttafel. Die Münchener Reihe trägt das Br üsseler Stadtzeichen und
die Marke des Jan van Tiegen (6), die letztere kehrt neben dem Lothringer Doppel-

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