Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0191
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
16. bis 18. Jahrhundert.

A. Oberrhein.

I. Nordschweiz und Grenzgebiete. 16. Jahrhundert.

1. Basel.

Mit dem endenden 15. Säkulum erhöht sich die Schwierigkeit, Basler Teppiche auch
nur einigermaßen sicher aus der großen Gruppe der oberrheinisch-schweizerischen Wirke-
reien loszulösen; die Stifterwappen werden seltener; das urkundliche Material läßt uns fast
völlig im Stich. Die Technik macht unter niederländischem Einfluß eine ständige, durch-
aus nicht im gleichen Flusse verlaufende Wandlung durch; altüberkommene Heidnisch-
wirkereiverfahren mischen sich mit den Methoden flämisch-brabantischer und franzö-
sischer Werkstätten. Mittelglieder, die die aufeinander folgenden Phasen erklären könnten,
fehlen vielfach. Die sich langsam bahnbrechende Renaissance verwischt die spätgotisch-
preziösen Formen; sie weitet und erhöht den Raum, ändert die Innenausstattung, wirft das
lange Rücklaken zum alten Plunder, sieht lächelnd auf die gezierten Damen und Herren
mit ihren sentimentalen Sprüchen von Liebe und Treue. Die Bibel tritt immer mehr in
den Vordergrund, die Glaubenszweifel werden zwingender, die Seele sucht Erlösung und
Vorbild in der Schrift. Die Kunst Basels, die deutsche Bildwirkerei überhaupt, ist kein auf
höfisches Leben eingestelltes Erzeugnis, das, wie in den westlichen Großzentren, nun in
heroischen Motiven Fortsetzung und neue Lebenskraft findet, sie ist lediglich auf die Be-
dürfnisse des Bürgertums und des Landadels zugeschnitten, die andere Sorgen haben, als
die Verherrlichung der Helden der Vorzeit oder gar die sinnige Betrachtung des minnenden
Jünglings, der tugendsamen Jungfrau. Die Reformation wirkt zunächst wie eine gewaltige,
die alte kirchliche Kunst, die in dem Heiligenleben ihre tiefsten Wurzeln schlug, vernich-
tende Walze. Die Erzeugnisse der Frauenklöster, die Schenkungen altgläubiger Patrizier
und Patrizierinnen hören auf; kein Wunder, daß auch die gewerbsmäßige Basler Heidnisch-
wirkerei schwer leidet. Hemmend, im Laufe weniger Jahrzehnte erdrückend, macht sich
die riesenhafte Massenerzeugung der großen Ateliers der burgundischen Erblande — Tour-
nai, Brüssel, Oudenaarde — geltend, die, auf die schneller arbeitende tieflitzige Technik
eingestellt, ungleich leistungsfähiger sind, die zudem in der weitergehenden Bildnach-
ahmung dem Zuge der Zeit stark entgegenkommen — an Zeugnissen aus dem 16. Säkulum
fehlt es wahrlich nicht, es sei nur an die Kritiken der Raffaelschen Taten der Apostel aus
der Brüsseler Werkstatt des Pieter van Aelst erinnert1) —, die schließlich in der starken
Verwendung von Seide, Silber und Gold dem Prunkbedürfnis schmeicheln, die Idee einer
günstigen Kapitalanlage wachhalten.

Kein Wunder, daß das wesentlichste Monument der Basler Bildwirkerei des beginnenden
16. Jahrhunderts, die Geschichte des armen Lazarus, auf den ersten Blick wie ein rein aus
westlichem Geiste geborenes Erzeugnis anmutet (Abb. 146). Schon die Abmessungen
(H. 2,58 m, L. 3,65 m) zeigen, daß dem altüberkommenen niedrigen, langen Rücklaken die

23 Göbel, Wandteppiche III.

177
 
Annotationen